Konsultationspapier zum institutionellen Rahmenabkommen
Die Plattform-Schweiz-Europa (PSE) fordert den Bundesrat auf, seine Führungsverantwortung wahrzunehmen und das institutionelle Rahmenabkommen (InstA) zu unterzeichnen. Das InstA fördert die ordentlichen Beziehungen zur EU und ihrer Mitgliedstaaten. Die PSE ist der Auffassung, dass den Interessen der Schweiz souveränitäts- und wirtschaftspolitisch besser gedient ist als ohne InstA. Wesentliche schweizerische Begehren sind im Abkommen erfüllt:
- Begrenzter Geltungsbereich des InstA
- Keine automatische Rechtsübernahme
- Angemessene Streitbeilegungsmechanismen
- Anerkennung von schweizerischen Spezifitäten
- Keine supranationale Überwachungsbehörde
- Keine Übernahme der Richtlinie zur Unionsbürgerschaft
- Gewährleistung von Rechtssicherheit
- Möglichkeit zum Abschluss neuer Verträge
Zu 1: Begrenzter Geltungsbereich:
Die Anwendung des InstA ist auf fünf bestehende Abkommen beschränkt, nämlich jene, die vollständig oder teilweise eine Teilnahme am Binnenmarkt vorsehen. Wer garantierten Zugang zum EU-Binnenmarkt will, muss auch dessen Regeln übernehmen.
Zu 2: Keine automatische Rechtsübernahme:
Das Abkommen verpflichtet die Schweiz für diese fünf Abkommen zu einer dynamischen Übernahme von EU-Recht. Die Schweiz erhält dafür:
- Ein systematisches Mitspracherecht (decision shaping) und das Recht auf Teilnahme in Arbeitsgruppen zur Umsetzung von EU-Recht (Komitologie)
- Die Respektierung der direkten demokratischen Verfahren bei der Anpassung der Gesetze, inkl. der Möglichkeit des Referendums
- Bei Ablehnung der Anpassung besteht die Möglichkeit des Opt-Out unter Inkaufnahme von Ausgleichsmassnahmen mit Schiedsverfahren. Somit keine automatische Rechtsübernahme.
Zu 3: Angemessene Streitbeilegungsmechanismen:
Im Gegensatz zur gegenwärtigen Rechtslage, die den EU-Behörden erlaubt, einseitig gegen die Schweiz gerichtete Massnahmen zu beschliessen, sieht das InstA ein paritätisch zusammengesetztes Schiedsgericht vor. Der Europäische Gerichtshof wird einzig konsultiert, wenn zur Schlichtung einer Streitigkeit die Auslegung von genuinem EU-Recht erforderlich ist. Hält sich die Schweiz bzw. die EU nicht an das Schiedsurteil, können nur proportionale Ausgleichsmassnahmen getroffen werden, was im Vergleich zu den gegenwärtigen bilateralen Abkommen ein wesentlicher Vorteil darstellt.
Zu 4: Anerkennung von schweizerischen Spezifitäten:
In den geltenden bilateralen Abkommen werden die schweizerischen Besonderheiten, wenn überhaupt, nur auf Zusehen hin anerkannt. Das InstA enthält verbindliche Sonderbestimmungen, die nur für die Schweiz gelten, so u.a.
- Vertragliche Sicherung der flankierenden Massnahmen, namentlich des Lohnschutzniveaus
- Eine Voranmeldepflicht für ausländische Anbieter von Dienstleistungen von vier Arbeitstagen auf der Basis von branchenspezifischen Risikoanalysen
- Eine Kautionspflicht bei Akteuren, die finanziellen Verpflichtungen wiederholt nicht nachgekommen sind
- Eine Dokumentationspflicht für selbständig Erwerbende
- Die Beibehaltung des Nacht- und Sonntagfahrverbots für Lastwagen
- Keine generelle Regelung für die staatlichen Beihilfen. Diese sollen in den sektoriellen Abkommen geregelt werden
Zu 5: Keine supranationale Überwachung:
Die Schweiz hat supranationale Überwachungsorgane im Rahmen des InstA abgelehnt. Diesem Begehren wurde mit dem Zweipfeilermodell entsprochen, indem die Einhaltung der Abkommen durch zwei eigenständige Institutionen mit äquivalenten Kompetenzen überwacht wird. Sollten Probleme auftreten, werden diese zunächst im Gemischten Ausschuss diskutiert und im Fall, dass keine Einigung erzielt wird, kann das Schiedsgericht angerufen werden, was wiederum vor arbiträren Gegenmassnahmen schützt. Dass unsere Wirtschaftsakteure nur durch schweizerische Behörden überwacht werden, kann auch gegenüber dem EWR mit seiner supranationalen EFTA Surveillance Authority (ESA) als Vorteil angesehen werden.
Zu 6: Ausklammerung der Unionsbürgerschaft:
Die Frage der Anwendung der Richtlinie wird durch das InstA nicht präjudiziert und wird auch ohne InstA Gegenstand längerer Verhandlungen sein. Die Schweiz kann durch die Opt-Out Möglichkeiten nicht zur integralen Übernahme gezwungen werden. Allfällige Ausgleichsmassnahmen der EU unterliegen der alleinigen Beurteilung durch das Schiedsgericht. Ohne InstA und unter der heutigen Rechtslage kann die EU einseitig Retorsionsmassnahmen im Rahmen des Freizügigkeitsabkommens einsetzen.
Zu 7: Das InstA gewährt Rechtssicherheit:
Mit dem InstA wird die Parallelität der Rechtslage zwischen der Schweiz und der EU gewährlistet, während die gegenwärtige Situation für die Schweiz prekär ist. Z.B. ist die gegenseitige Anerkennung von Konformitätsbewertungen für Industrieprodukte nicht gesichert. Das Gleiche gilt für die Börsenäquivalenz. Die zukünftige Beteiligung an den EU-Forschungsprogrammen (Horizon) und der Austausch von Studenten (Erasmus) sind ungewiss.
Zu 8: Das InstA ermöglicht neue Verhandlungen:
Nur im Falle des Abschlusses eines InstA können neue Marktzugangsabkommen mit der EU abgeschlossen werden; im Vordergrund stehen das bereits seit einiger Zeit in Verhandlungen stehende Abkommen zum Strommarkt sowie ein Dienstleistungsabkommen, insbesondere im Bereich der Finanzdienstleistungen.
Zusammenfassung und Schlussfolgerung
Die Schweiz muss die Möglichkeit haben, ihre Interessen in der EU effizient und effektiv vertreten zu können. Als eines der am meisten integrierten Länder im Binnenmarkt der EU hat sie ein eminentes Interesse an der Weiterführung und am Ausbau des bilateralen Wegs. Dieser Weg ist ohne InstA in höchstem Mass gefährdet. Das InstA stärkt den Einfluss der Schweiz auf das Geschehen innerhalb der EU, indem es ihr ein Recht auf Mitsprache bei der Rechtsentwicklung einräumt. Der paritätische Streitbeilegungsmechanismus gewährt ihr Rechtssicherheit und schützt sie vor arbiträren Massnahmen.
Die PSE ruft daher den Bundesrat auf, das InstA zu unterzeichnen und den parlamentarischen Prozess einzuleiten. Parlament und allenfalls das Schweizer Volk müssen über dieses Vertragswerk demokratisch entscheiden können. Die PSE ist davon überzeugt, dass sich der Bundesrat bewusst ist, dass er im Fall der Nicht-Unterzeichnung des InstA die Verantwortung für allfällige diskriminatorische Massnahmen vonseiten der EU trägt. Sollte der Bundesrat das InstA nur mit Vorbehalten unterstützen, bitten wir ihn, die PSE in die mit der EU geführten Gespräche und in den in der Schweiz initiierten Konsultationsprozess mit einzubeziehen.
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