Österreich bleibt neutral ist jedoch im Rahmen der Mitgliedschaft in der EU mit ihren europäischen Partnern voll solidarisch. Und die Schweiz?

von Josef Aregger, Wien 24.4.2023

Wie die Schweizer sind auch die Österreicher und die Österreicherinnen grossmehrheitlich überzeugt, dass die Neutralität ihres Landes identitätsstiftend und wertvoll ist. Sie hat dem Land massgeblich geholfen, den Staatsvertrags von 1955 abzuschliessen und damit entscheidend zur Wiedererlangung der vollen Souveränität beigetragen. In einer Umfrage angesichts des Ukrainekriegs haben 70 % der Befragten erklärt, die Neutralität sei ihnen sehr wichtig und für weitere 21 % war sie eher wichtig.[1] Und trotzdem wird Österreich wegen des Status als immerwährend neutrales Land nach dem Vorbild der Schweiz deutlich weniger an den Pranger gestellt als die Schweiz.

Dies ist allerdings nicht erstaunlich. Denn seit dem Beitritt zur EU gilt laut dem Artikel 23j des österreichischen Verfassungsgesetzes, dass die Neutralität nicht zur Anwendung kommt, wenn die EU im Rahmen der Gemeinsamen Aussen- und Sicherheitspolitik (GASP) einschliesslich der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik handelt. In der österreichischen Presse liest man den Satz: „Die Neutralität stellt in den Augen der Partnerstaaten kein Problem dar, solange Vertreter aus Wien sich daran halten, was das Land bereits 1995 beim EU-Beitritt vertraglich zugesichert hat: im Krisenfall steht Solidarität über der Neutralität. Samt Beistandspflicht.“[2]

Somit trägt Österreich in solidarischer Weise seinen Teil zur Finanzierung der Friedensfazilität bei. Unter dem Namen Friedensfazilität hat die EU einen haushaltexternen Fonds eingerichtet zur Verbesserung der Fähigkeit zur Konfliktverhütung, zur Friedenskonsolidierung und zur Stärkung der internationalen Sicherheit Die Obergrenze des Fonds wurde am 13. März 2023 für den Zeitrahmen bis 2027 auf insgesamt knapp 8 Mrd. € angehoben. Der Rat der Europäischen Union hat am 20. März 2023 im Rahmen der Friedensfazilität die Lieferung und Beschaffung von Munition für die Ukraine beschlossen. Das neutrale Österreich bezahlt seinen Beitrag nach dem Schlüssel, der sich nach dem BIP der Mitgliedstaaten richtet. Sodann gibt’s einen Beschluss der EU, der die Mitgliedstaaten verpflichtet, Waffentransport in die Ukraine durch ihr Staatsgebiet zuzulassen. Auch diesen Beschluss trägt Österreich mit.

Aber nicht nur als EU-Mitglied sind im Verfassungsgesetz Grenzen der Neutralität festgeschrieben. Die Neutralität kommt ebenfalls nicht zur Anwendung, wenn der UNO-Sicherheitsrat Massnahmen nach Kapitel VII der Satzung der Vereinten Nationen anordnet. Dies gilt aufgrund einem seit 1990 (Überfall auf Kuweit) geltenden revidierten[3] Verständnis der aus der Satzung der Vereinten Nationen erwachsenden Verpflichtungen.

Die FPÖ kritisiert die Regierungspolitik und lehnt die Verpflichtungen, die durch den EU-Beitritt eingegangen wurden ab genauso, wie dies die SVP und weite Kreise darüber hinaus in der Schweiz praktizieren. Jedoch in Österreich sind die Entscheidungen im Sinne des oben ausgeführten längst gefallen und erlauben dem Land als neutraler Staat Solidarität zu zeigen, weil die Neutralität klar auf den militärischen Teil derselben beschränkt ist.

Was ist daraus zu schliessen? Österreichs Neutralität unterscheidet sich beträchtlich von der Praxis der schweizerischen Neutralität. Die Schweiz hingegen scheut die innenpolitische Auseinandersetzung, obwohl es nicht darum geht, die Neutralität abzuschaffen. Es ist lediglich notwendig, die Handhabung des Instruments der Neutralität an die Anforderungen der heutigen Situation und an die aussenpolitischen Interessen des Landes anzupassen.

  • Um die Zustimmung in der Volksabstimmung über den UNO-Beitritt nicht zu gefährden haben die Befürworter im Vorfeld der Abstimmung von 2002 daran festgehalten, dass sich mit der Mitgliedschaft in der UNO für die Neutralität nichts ändert. Die Schweiz hält an ihrer Praxis der Neutralität vollumfänglich fest, obwohl es wenig sinnvoll ist, der Weltöffentlichkeit erklären zu wollen, dass wir in einem Konflikt, in dem der UNO-Sicherheitsrat Massnahmen ergreift, die UNO nicht unterstützen können, weil wir neutral sind. Im Ukrainekrieg kommt dies ohnehin nicht infrage, weil Russland jede Massnahme des Sicherheitsrates mit seinem Veto verhindert. Abgesehen davon können wir jedoch auch unsere nächsten Partner, auf die wir wirtschaftlich und politisch und letztlich auch sicherheitspolitisch angewiesen sind nicht überzeugen, dass wir ein wichtiger Partner bleiben, wenn wir im Krieg Russlands gegen die Ukraine abseits stehen. Die Neutralität der Schweiz muss um sinnvoll zu sein auch im Interesse der Staaten bleiben, die die Neutralität anerkennen.
  • Im aktuellen Konflikt in der Ukraine werden wir als nicht neutral betrachtet, weil wir mit unserer Weigerung, der Weiterlieferung von schweizerischen Gepardpanzern und der dazugehörigen Munition aus Deutschland an die Ukraine zuzustimmen, in den Augen unserer Kritiker gleichsam Russland helfen. Österreich hingegen gilt weiterhin als neutral. Natürlich ist der an die Schweiz gerichtete Vorwurf rein rechtlich nicht haltbar. Beim Beharren auf unserem Standpunkt in koolhaasscher Manier geht jedoch viel aussenpolitische Reputation verloren.
  • Und es wäre wohl sinnvoll, wenn die Schweiz bei der Aufspürung der Oligarchengelder mit den westlichen Partner enger zusammenarbeitete. Damit würde sie zeigen, wie sehr ihr daran liegt, solidarisch zu sein. Ob Gelder aus eigentumsrechtlichen Gründen zu sperren oder zu konfiszieren sind, kann ja erst entschieden werden, wenn die Konten und Vermögen bekannt sind. Sich hinter der Neutralität zu verstecken ist allemal für den Status der schweizerischen Neutralität schädlich.

[1] 3. und 4. März 2022 online durchgeführte Umfrage der Österreichischen Gesellschaft für Europapolitik (ÖGfE).

[2] Der Standard vom 11.4.2023: Österreich in Europas Sicherheitspolitik, und doch nicht ganz dabei.

[3] Am 9. August 1990 verabschiedete der UN-Sicherheitsrat einstimmig die Resolution 662, welche die Annexion Kuwaits durch den Irak für „null und nichtig“ erklärte und die Wiederherstellung der Souveränität, Unabhängigkeit und territorialen Integrität Kuwaits forderte.

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