Obligatorisches Staatsvertragsreferendum für Abkommen mit der EU? (Von Walter Haller)

Wie ein Abkommen mit der EU aussehen wird, wissen wir noch nicht. Schon jetzt wird eifrig gestritten, ob ein solches Abkommen nur dem Volks- oder auch dem Ständemehr zu unterstellen sei. Eine renommierte Professorin für Staats- und Völkerrecht , die sich gegen die Notwendigkeit eines Kantonsmehrs aussprach, wurde in einer hässlichen Inseratenpolemik sogar als Landesverräterin bezeichnet. So weit ist die politische Kultur und die Bereitschaft zum offenen Diskurs bei einigen gediehen. Im Zusammenhang mit einem Gutachten des Bundesamtes für Justiz, das mit einer sachlich überzeugenden Argumentation ein ausserordentliches Ständemehr für das Abkommen mit der EU als unnötig ansah, wird jetzt wiederum polemisiert.

In der Verfassung fehlt eine Rechtsgrundlage für ein solches Erfordernis. Oberste Richtschnur muss aber die Bundesverfassung sein. Diese beschränkt das obligatorische Referendum in der Aussenpolitik aber in Art. 140 Abs. 1 lit. b auf den Beitritt zu Organisationen für kollektive Sicherheit (wie UNO und NATO) oder zu supranationalen Organisationen (wie die EU). Gewisse Staatsverträge wurden dem Ständemehr unterstellt, andere nicht. Dieser plebiszitären Willkür sollte ein Ende gesetzt werde. Nur bei völkerrechtlichen Staatsverträgen von klarem Verfassungsrang sollte ein zusätzliches Ständemehr zur Anwendung gelangen können. Das hat einen guten Grund, denn sonst könnte die Vertrauenswürdigkeit der Schweiz Schaden leiden.

In der Bundesverfassung fehlt eine Rechtsgrundlage für ein solches obligatorisches Staatsvertragsreferendum. Vor einige Jahren scheiterte ein Entwurf des Bundesrates im Nationalrat, wonach (alle) Staatsverträge mit verfassungsrechtlichem Charakter dem obligatorischen Referendum unterstellt worden wären. Somit ist diese Frage durch die Verfassung geregelt und nicht dem Parlament überlassen.

Obligatorische Staatsvertragsreferenda ausserhalb der Verfassung werden ausgeschlossen. Auch das hat einen guten Grund: Einem Missbrauch von Referendumsdrohungen für politisch-taktische Zwecke sollte ein Riegel geschoben werden. Denn dadurch würde die Vertrauenswürdigkeit der Schweiz Schaden leiden. Der Bundesrat sollte bei der Aufnahme von Verhandlungen mit anderen Staaten signalisieren können, ob ein Vertrag vom Parlament, vom Volk oder von Volk und Kantonen genehmigt werden muss. Dieser Entscheid sollte nicht dem Parlament überlassen werden.

Alt Ständeratspräsident René Rhinow und Prof. Georg Müller haben in der NZZ auf Grund der Verhandlungen im Parlament aufgezeigt, dass viele Parlamentsmitglieder und auch Bundesrat Koller bestrebt waren, zu verhindern, dass Verfassungsabstimmungen über Staatsverträge in rechtlich ungeordneter Weise erfolgen.

 

Walter Haller ist Prof. em. für Verfassungsrecht, Verwaltungsrecht und Verfassungsvergleichung der Universität Zürich und Mitglied von UNSER RECHT.

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