Österreich bleibt neutral ist jedoch im Rahmen der Mitgliedschaft in der EU mit ihren europäischen Partnern voll solidarisch. Und die Schweiz?

von Josef Aregger, Wien 24.4.2023

Wie die Schweizer sind auch die Österreicher und die Österreicherinnen grossmehrheitlich überzeugt, dass die Neutralität ihres Landes identitätsstiftend und wertvoll ist. Sie hat dem Land massgeblich geholfen, den Staatsvertrags von 1955 abzuschliessen und damit entscheidend zur Wiedererlangung der vollen Souveränität beigetragen. In einer Umfrage angesichts des Ukrainekriegs haben 70 % der Befragten erklärt, die Neutralität sei ihnen sehr wichtig und für weitere 21 % war sie eher wichtig.[1] Und trotzdem wird Österreich wegen des Status als immerwährend neutrales Land nach dem Vorbild der Schweiz deutlich weniger an den Pranger gestellt als die Schweiz.

Dies ist allerdings nicht erstaunlich. Denn seit dem Beitritt zur EU gilt laut dem Artikel 23j des österreichischen Verfassungsgesetzes, dass die Neutralität nicht zur Anwendung kommt, wenn die EU im Rahmen der Gemeinsamen Aussen- und Sicherheitspolitik (GASP) einschliesslich der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik handelt. In der österreichischen Presse liest man den Satz: „Die Neutralität stellt in den Augen der Partnerstaaten kein Problem dar, solange Vertreter aus Wien sich daran halten, was das Land bereits 1995 beim EU-Beitritt vertraglich zugesichert hat: im Krisenfall steht Solidarität über der Neutralität. Samt Beistandspflicht.“[2]

Somit trägt Österreich in solidarischer Weise seinen Teil zur Finanzierung der Friedensfazilität bei. Unter dem Namen Friedensfazilität hat die EU einen haushaltexternen Fonds eingerichtet zur Verbesserung der Fähigkeit zur Konfliktverhütung, zur Friedenskonsolidierung und zur Stärkung der internationalen Sicherheit Die Obergrenze des Fonds wurde am 13. März 2023 für den Zeitrahmen bis 2027 auf insgesamt knapp 8 Mrd. € angehoben. Der Rat der Europäischen Union hat am 20. März 2023 im Rahmen der Friedensfazilität die Lieferung und Beschaffung von Munition für die Ukraine beschlossen. Das neutrale Österreich bezahlt seinen Beitrag nach dem Schlüssel, der sich nach dem BIP der Mitgliedstaaten richtet. Sodann gibt’s einen Beschluss der EU, der die Mitgliedstaaten verpflichtet, Waffentransport in die Ukraine durch ihr Staatsgebiet zuzulassen. Auch diesen Beschluss trägt Österreich mit.

Aber nicht nur als EU-Mitglied sind im Verfassungsgesetz Grenzen der Neutralität festgeschrieben. Die Neutralität kommt ebenfalls nicht zur Anwendung, wenn der UNO-Sicherheitsrat Massnahmen nach Kapitel VII der Satzung der Vereinten Nationen anordnet. Dies gilt aufgrund einem seit 1990 (Überfall auf Kuweit) geltenden revidierten[3] Verständnis der aus der Satzung der Vereinten Nationen erwachsenden Verpflichtungen.

Die FPÖ kritisiert die Regierungspolitik und lehnt die Verpflichtungen, die durch den EU-Beitritt eingegangen wurden ab genauso, wie dies die SVP und weite Kreise darüber hinaus in der Schweiz praktizieren. Jedoch in Österreich sind die Entscheidungen im Sinne des oben ausgeführten längst gefallen und erlauben dem Land als neutraler Staat Solidarität zu zeigen, weil die Neutralität klar auf den militärischen Teil derselben beschränkt ist.

Was ist daraus zu schliessen? Österreichs Neutralität unterscheidet sich beträchtlich von der Praxis der schweizerischen Neutralität. Die Schweiz hingegen scheut die innenpolitische Auseinandersetzung, obwohl es nicht darum geht, die Neutralität abzuschaffen. Es ist lediglich notwendig, die Handhabung des Instruments der Neutralität an die Anforderungen der heutigen Situation und an die aussenpolitischen Interessen des Landes anzupassen.

  • Um die Zustimmung in der Volksabstimmung über den UNO-Beitritt nicht zu gefährden haben die Befürworter im Vorfeld der Abstimmung von 2002 daran festgehalten, dass sich mit der Mitgliedschaft in der UNO für die Neutralität nichts ändert. Die Schweiz hält an ihrer Praxis der Neutralität vollumfänglich fest, obwohl es wenig sinnvoll ist, der Weltöffentlichkeit erklären zu wollen, dass wir in einem Konflikt, in dem der UNO-Sicherheitsrat Massnahmen ergreift, die UNO nicht unterstützen können, weil wir neutral sind. Im Ukrainekrieg kommt dies ohnehin nicht infrage, weil Russland jede Massnahme des Sicherheitsrates mit seinem Veto verhindert. Abgesehen davon können wir jedoch auch unsere nächsten Partner, auf die wir wirtschaftlich und politisch und letztlich auch sicherheitspolitisch angewiesen sind nicht überzeugen, dass wir ein wichtiger Partner bleiben, wenn wir im Krieg Russlands gegen die Ukraine abseits stehen. Die Neutralität der Schweiz muss um sinnvoll zu sein auch im Interesse der Staaten bleiben, die die Neutralität anerkennen.
  • Im aktuellen Konflikt in der Ukraine werden wir als nicht neutral betrachtet, weil wir mit unserer Weigerung, der Weiterlieferung von schweizerischen Gepardpanzern und der dazugehörigen Munition aus Deutschland an die Ukraine zuzustimmen, in den Augen unserer Kritiker gleichsam Russland helfen. Österreich hingegen gilt weiterhin als neutral. Natürlich ist der an die Schweiz gerichtete Vorwurf rein rechtlich nicht haltbar. Beim Beharren auf unserem Standpunkt in koolhaasscher Manier geht jedoch viel aussenpolitische Reputation verloren.
  • Und es wäre wohl sinnvoll, wenn die Schweiz bei der Aufspürung der Oligarchengelder mit den westlichen Partner enger zusammenarbeitete. Damit würde sie zeigen, wie sehr ihr daran liegt, solidarisch zu sein. Ob Gelder aus eigentumsrechtlichen Gründen zu sperren oder zu konfiszieren sind, kann ja erst entschieden werden, wenn die Konten und Vermögen bekannt sind. Sich hinter der Neutralität zu verstecken ist allemal für den Status der schweizerischen Neutralität schädlich.

[1] 3. und 4. März 2022 online durchgeführte Umfrage der Österreichischen Gesellschaft für Europapolitik (ÖGfE).

[2] Der Standard vom 11.4.2023: Österreich in Europas Sicherheitspolitik, und doch nicht ganz dabei.

[3] Am 9. August 1990 verabschiedete der UN-Sicherheitsrat einstimmig die Resolution 662, welche die Annexion Kuwaits durch den Irak für „null und nichtig“ erklärte und die Wiederherstellung der Souveränität, Unabhängigkeit und territorialen Integrität Kuwaits forderte.

«Nur im Krieg zeigt sich…wer deine echten Freunde sind» (Daniel Woker)

Dies sagt der ukrainische Berufssoldat «Waleri» in einer NZZ-Reportage aus Grossbritannien. An einem geheimen Ort in Südwestengland wird er zum Kampf gegen Putins völkermörderische Armee ausgebildet. Die Aussage zeigt: Die Schweiz ist kein echter Freund der Ukraine.

«Wenn es irgendeine Möglichkeit gibt, uns mehr Waffen und Munition zu schicken, dann tut das bitte», sagt Waleri in der NZZ-Reportage. «Wir brauchen für die kommenden Monate wirklich alles, was wir bekommen können.»

Grossbritannien hat in absoluten Zahlen nach den USA am meisten Mittel zur Unterstützung der Ukraine ausgegeben. Dazu gehören schwere Panzer und die Ausbildung ukrainischer Militärangehöriger. Die Schweiz könnte beides auch tun, tut es aber nicht.

Panzer

Bekanntlich stünden seit Monaten eine grosse Anzahl von ausgemusterten Kampfpanzern Leopard II in der Ostschweiz bereit, um im Ringverkauf via Deutschland oder direkt an die Ukraineabgegeben zu werden. Dies hat auch die schweizerische Verteidigungsministerin bestätigt. Entgegen den Behauptungen des Gesamtbundesrates ist dies sowohl von der Neutralität her, wie das die namhaftesten Völkerrechtler der Schweiz erschöpfend dargelegt haben, als auch basierend auf der geltenden Gesetzgebung über Kriegsmaterialausfuhr möglich: wenn nötig mit Notrecht, welches vom selben Bundesrat zur Rettung des Finanzplatzes Schweiz schnell und ohne Gewissensbisse angewandt worden ist.

Ausbildung

Die Schweiz könnte ohne weiteres jetzt ukrainische Soldatinnen und Soldaten ausbilden, wenn wir nur wollten.

Wie das, da sich doch die Ukraine im Krieg befindet?

Die Antwort ist in dieser Antwort des Bundesrates auf eine Interpellation von Nationalrat Pierre-Alain Fridez vom 19.9.2012 zu finden:

(Es trifft zu, dass) russische Soldaten in den Genuss einer militärischen Ausbildung durch die Schweizer Armee gekommen sind. Zwei Detachemente der russischen Streitkräfte haben dieses Jahr in Andermatt im Kompetenzzentrum Gebirgsdienst eine Ausbildung absolviert.

Das war zwar vor dem Beginn von Putins Aggression gegen die gesamte Ukraine, aber nur kurz vor dem von Russland entfesselten Donbass-Konflikt und nach den russischen Aggressionen in Georgien und anderen Regionen der ehemaligen UdSSR. Die wahre Absicht von Putin, das ganze Gebiet der UdSSR wiederherzustellen, war schondamals publik und allgemein bekannt. Offensichtlich hat damals die Neutralität für den Bundesrat keine Rolle gespielt, sondern, wie er in der Interpellationsantwort ausführt:

Zu dieser auf Vertrauen und Gegenseitigkeit beruhenden Zusammenarbeit(mit Russland) zählen auch regelmässige Konsultationen auf den Gebietender Menschenrechte und der Sicherheit.

Die Moral

Nach all den politischen, juristischen und auch wirtschaftlichen Argumenten, ist die Moral der wichtigste Grund, weshalb die Schweiz mehr für die um ihr Überleben kämpfenden Ukraine tun muss.

Einer der berühmtesten, mit europäischen Preisen überhäufter, zeitgenössischer Schriftsteller der Ukraine, der in Russland geborene und im Original russisch schreibende Andrei Kurkow, ein mit einer Engländerin verheirateter ukrainischer Staatsbürger, welcher mitseiner Frau in der Ukraine ausharrt, schildert ebenso konzis wie unnachahmlich, wie es sich anfühlt von einem «Brudervolk» mit Krieg, Verwüstung, Folter und Tod überzogen zu werden. Mit dem er zudem eine Kultur teilt, welche zu den wichtigsten Weltkulturen gehört und unvergleichliche Literatur geschaffen hat. Eine Kultur, welche nun von Putin, seinen Schergen und seinen schleimenden Lawrow-Diplomaten in den Schmutz gezogen und nachhaltig beschädigt wird. (Andrei Kurkov, Tagebuch einer Invasion: Aufzeichnungen aus der Ukraine, Maymon, Oktober 2022).

Den schweizerischen Neutralität-Fetischisten ist anzuraten, Kurkows Buch aufmerksam zu lesen: Wenn sich diese dann, ohne Schamröte im Gesicht, weiterhin zur reinen und vollständigen Neutralität bekennen, welche zu wichtig sei, um kurzfristigen moralischen Einwänden Rechnung zu tragen – wie sich ein Genfer Völkerrechtsprofessor gegenüber dem Schreibenden sinngemäss ausgedrückt hat – tragen sie die volle Verantwortung, als vermeintliche Experten die Schweiz auf den moralischen Irrweg geführt zu haben.

Kein Freund

Kein Freund der Ukraine zu sein in ihrer schwersten Stunde – der anlaufende Befreiungsvorstoss in der Ost- und Südukraine dürfte entscheidend werden – wird für die Schweiz Folgen haben. Politische, wirtschaftliche und vor allem auch moralische. Im Gegensatz zum Brexit-Grossbritannien, das sich nicht nur mit Worten, sondern auch mit Taten in der Ukraine engagiert, zeigen wir uns nicht solidarisch mit dem demokratischen und rechtsstaatlichen Europa. Daran wird die Schweiz gemessen werden, von unseren gleichgesinnten ausländischen Partnern und auch von den zukünftigen schweizerischen Chronisten. Gewogen und zu leicht gefunden.

G-7-Schelte für die Schweiz (Daniel Woker)

Einmal mehr geht eine Welle selbstgerechter Entrüstung durch die Schweiz: Die G-7 schilt die Schweiz wegen ungenügender Unterstützung der Ukraine und fehlender Gründlichkeit bei den Sanktionen gegen Russland; die Botschafter dieser Länder in Bern werden zu einem ‘klärenden’ Gespräch’ zitiert. 

Behördliche Reaktionen und jene in den Medien sind eindeutig: wie können sie das wagen, wo wir doch alle Sanktionen mitmachen und eben gleichzeitig ein sprichwörtlicher Rechtsstaat sind. Aber ist diese Pose selbstgerechten Patriotismus’, die Rolle der beleidigten Souveränitäts-Leberwurst angebracht? Eine nüchterne Betrachtung fällt klar negativ aus; es wäre vielmehr angebracht, die Demarche unserer wichtigsten Partnerländer als Alarmzeichen aufzufassen und unsere gesamte Ukrainepolitik einer Prüfung zu unterziehen.

Schlusslicht Schweiz

Die Schweiz ist am Schwanz der Rangliste aller westlichen Länder bei der Unterstützung der Ukraine gegen den Kriegsverbrecher Putin und seinen Aggressionskrieg. Die G-7 hat recht, die Schweiz muss und kann mehr tun. Die Lieferung von Kriegsmaterial, auch im Ringverkauf via eine dritte Partei, ist im Moment blockiert durch den Bundesrat. Die gegenwärtige offizielle Politik der Schweiz liegt damit auf der Linie rechter Nationalisten in der SVP und naiver Pazifisten in der grünen Partei, dürfte aber kaum einer Mehrheit in der Schweiz entsprechen.

Die viel zitierte und zur Verteidigung der offiziellen Position gern vorgebrachte humanitäre Hilfe, welche die Schweiz doch liefere – welche uns bislang nicht von den hintersten Rängen westlicher Unterstützung fortgebracht hat – reicht keineswegs aus, um den völligen Mangel an handfester Unterstützung zu kompensieren. Damit ist primär Kriegsmaterial und sind weiter Milliardenbeträge zur Zahlungsbilanzhilfe gemeint. Dieser Mangel wird auch keineswegs kompensiert durch die neu von BR Cassis genannten, höheren Beträge von humanitärer Hilfe, welche zudem teilweise auf Kosten anderer, eigentlich bereits zugesprochener Unterstützung im Ausland gehen.

Hinhaltepolitik

Vollends offensichtlich ist die Hinhaltepolitik des offiziellen Bern, was sowohl die Verwendung russischer Vermögenswerte als auch die Tätigkeit, und die Finanzen von in der Schweiz domizilierten Handelsunternehmen mit russischen Rohstoffen anbelangt. Als weltweiter Leader in der Vermögensverwaltung und Rohstoffhandelsplatz ist der Finanzplatz Schweiz eben auch Hauptdrehscheibe für russische Vermögen. Ein abstraktes Recht auf russisches Eigentum mit den buchstäblich von Tod und Vernichtung bedrohten Ukrainerinnen und Ukrainer – und deren Unterstützung durch beschlagnahmte russische Vermögenswerte – auf dieselbe Ebene zu stellen, ist lächerlich. Die russischen Gelder in der Schweiz stammen mindestens von Diebstahl am russischen Volksvermögen her – Stichwort überstürzte Privatisierung nach dem Zusammenbruch der UdSSR – und maximal von Korruption und der Umgehung von rechtsgültigen Sanktionen. Dies sind alles strafrechtliche Tatbestände, die hier das ‘Recht auf Eigentum’ absurd erscheinen lassen.

Schweizerisches Echo

Die Charakterisierung der diplomatischen Vertreter der G-7 Staaten, welche entsprechend beim Bundesrat vorstellig werden, als ‘Radau Diplomaten’, zu bezeichnen, so ein TA-Journalist, ist unklug und kontraproduktiv. Dies weil das Ansehen der Schweiz und damit auch die Einstellung unserer Partnerländer gegenüber schweizerischen Begehren, wie beispielsweise in der Europapolitik, sich momentan auf einem Tiefstand befindet. Zum selben Zeitpunkt, da letztere völlig festgefahren ist und ein globaler Bankencrash auch in der Folge der selbstverschuldeten Kernschmelze der Credit Suisse nur knapp abgewendet worden ist, stellen wir gegenüber der Ukraine auf stur. Wenn uns dies unsere wichtigsten und besten Partner via ihre Vertreter in der Schweiz in Erinnerung rufen, sind diese nicht ‚Radaubrüder‘, sondern tun ihren Job als Vertreter ihrer Regierungen.

Auch ein Rechtsprofessor, der in einem TA-Interview meint, es gäbe keinerlei Beweise für unrechtmässige Vermögenswerte von Russland und seinen Staatsangehörigen in der Schweiz, müsste vorsichtig sein. Die Vorwürfe der G-7 und speziell der USA würden wohl kaum in dieser öffentlichen Form vorgebracht werden, wenn nicht geheimdienstliche Erkenntnisse vorliegen würden, die das Gegenteil beweisen. Eine schweizerische Teilnahme an der internationalen Taskforce zur Überwachung der Ukrainesanktionen ist überfällig. Wenn diese dereinst die Beschlagnahmung russischer Vermögenswerte beschliesst, wird sich die Schweiz ohnehin anschliessen müssen. Wenn nötig mit Notrecht. Der Bundesrat hat mit der eigenmächtigen Abschreibung auf Null von international breit gestreuten CS-Obligationen eben erst gezeigt, dass dies im Notfall ohne weiteres möglich ist.

Der Notfall ist da

Hier liegt denn auch der springende Punkt. Im Gegensatz zum übrigen Westen hat man in Helvetien offenbar noch nicht begriffen, dass mit russischer Aggression und Putins Völkermord gegen die Ukraine ein wirklicher Notfall bereits eingetreten ist, für die Schweiz, für Europa und, zumindest, die Gesamtheit westlicher Länder. Um Putins Expansionswahn wirklich zu begegnen, muss er zunächst eine deutliche sichtbare Niederlage erleiden. Dies ist nur mit schneller und handfester Hilfe aus dem Westen möglich; erst dann kann über einen Waffenstillstand , damit den Wiederaufbau der Ukraine und später über vom Westen garantierte Grenzen gegen Russland gesprochen werden.

Wir sollten also die G-7 Mahnungen ernst nehmen, anstatt mit gekränktem Patriotismus wild um uns zu schlagen. Bekanntlich folgen auf diplomatische Demarchen Massnahmen, welche dann wirklich weh tun können, wie Boykotte und weiteres mehr.

Für einen bilateralen Pakt Schweiz-EU (D. Farman, I. Knobel, F. Vogel)

Vor genau einem Jahr im Februar 2022, präsentierte der Bundesrat einen neuen Verhandlungsansatz, um die Schweiz aus der europapolitischen Blockade zu führen. Inzwischen haben Sondierungsgespräche mit der EU stattgefunden, doch noch bestehen Hindernisse für eine einvernehmliche Lösung zur Fortsetzung des bewährten bilateralen Wegs. Diese gilt es zu überwinden.

Zur Weiterentwicklung des bilateralen  Wegs schlägt  dieses Diskussionspapier einen  bilateralen Pakt mit der EU vor. Mit den drei Dimensionen “Werte”, “Menschen” und “Zusammenarbeit” identifiziert dieses Diskussionspapier 15 Bedürfnisse der Schweiz und der EU, darunter Gleichbehandlung, Flexibilität und Effizienz, und analysiert zu welchem Grad sie tatsächlich ein Problem in den Verhandlungen darstellen.

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Wer beim Thema Schweiz – EU mitreden möchte: Tipps (Markus Mugglin)

Eine Buchwelle zu Schweiz – EU schwappt über das Land. Eine Übersicht und ein paar Tipps, was sich weshalb zu lesen lohnt.

Das Verhältnis Schweiz – EU ist bekanntlich schwierig. Es dreht sich seit Jahren um die gleichen Themen wie Rechtsübernahme, Streitschlichtung, Lohnschutz, Rahmenabkommen. Die Schweiz beteuert zwar, sie wolle weiterhin den bilateralen Weg beschreiten und sogar weiterentwickeln. Doch gleichzeitig ist die Beziehung gestört und blockiert.

Und doch bewegt sich ewas, zumindest auf dem Büchermarkt. Ausserordentlich viel sogar. Vier Verlage gaben in vorweihnächtlicher Zeit gleich fünf neue Titel heraus. Drei legen den Fokus auf das Verhältnis Schweiz – EU, ein Buch richtet den Blick auf das grosse Ganze in Europa mit einem Seitenblick auf die Schweiz, das fünfte Buch schaut auf Europa und auf das Beziehungsdrama zwischen der Schweiz und der EU.

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Europa Forum Impulspapier

Das Europa Forum präsentiert zum Thema «Let Europe arise. Welches Europa wollen die Millennials jetzt?» junge Ideen für den Alten Kontinent und liefert Denkanstösse und Handlungsempfehlungen, die Europa und damit auch die Schweiz stärken.

Das vollständige Impulspapier können Sie unter diesem Link lesen.

Interessenpolitik allein reicht nicht aus (Jean-Daniel Gerber)

Die Schweiz muss gegenüber der EU ihre Interessen verfolgen. Gleichzeitig muss sie aber auch darlegen können, wie sie sich ihre Rolle in einem zukünftigen Europa vorstellt.

Anfang Dezember 2022 publizierte der Bundesrat seine «Lagebeurteilung über die Beziehungen Schweiz – EU». Die Regierung gibt sich in ihrer Beurteilung vorsichtig optimistisch. Die EU respektiere den Schweizer Ansatz, bei der Personenfreizügigkeit Ausnahmen vorzusehen, und zeige Offenheit, diese Ausnahmen nicht der Auslegungskompetenz des Europäischen Gerichtshofs zu unterstellen.

Den vollständigen Kommentar können Sie hier lesen.

«Im Abseits zu stehen ist nicht souverän» (Oliver Steimann)

Auf den Tag genau 30 Jahre nach dem historischen Nein zum EWR-Beitritt ist in Bern der «Aufruf zum Handeln» vorgestellt worden. Der von der Plattform-Schweiz-Europa (P-S-E) und stark+vernetzt organisierte Appell zeigt, dass die Schweiz eine rasche Lösung in der Beziehungskrise mit der EU braucht und eine breite Allianz bereit ist, für eine solche einzustehen. Am Anlass sind zudem neue Ansätze beim Lohnschutz diskutiert worden.

Selten hat eine Abstimmungsentscheidung die Schweiz nachhaltiger geprägt, aber auch blockiert wie das Nein zum Europäischen Wirtschaftsraum vor drei Jahrzehnten. Seither ist unser Land auf der Suche nach einer stabilen Alternative für die Beziehungen zur EU. Denn die verbreitete Annahme, dass die Bilateralen auf Dauer eine solche Lösung sein könnten, hat sich als Illusion erwiesen. In der Aula der Uni Bern war 30 Jahre nach dieser Weichenstellung deshalb niemandem zum Feiern zumute, im Gegenteil. Ein «historischer Fehltritt» sei der damalige Entscheid gewesen, erklärte Alt Bundesrat Joseph Deiss unverblümt. Die Teilnahme am europäischen Binnenmarkt werde der Schweiz wohl nie wieder zu so vorteilhaften Konditionen angeboten. Aber das Lamentieren bringe nichts, man müsse nach vorne schauen. Und angesichts der vielen geopolitischen Herausforderungen der Gegenwart weise ja alles darauf hin, dass die europäischen Länder näher zusammenstehen müssten.

Lohnschutz europakompatibel gewährleisten

In der öffentlichen Debatte scheint diese Erkenntnis nur langsam zu reifen. Kathrin Amacker, Präsidentin der P-S-E, konstatierte eine «unangenehme Stille», seit der Bundesrat in den Verhandlungen mit Brüssel den Stecker gezogen habe. Andere Referierende kritisierten, dass die Europadebatte in der Schweiz einseitig auf Probleme fokussiert sei. Gerade beim umstrittenen Thema Lohnschutz sei das nicht länger gerechtfertigt, erklärte Markus Notter, ehemaliger Regierungsrat und heutiger Leiter des Europainstituts der Universität Zürich. Man vergesse bei dieser Diskussion nur zu gerne, dass vor der Personenfreizügigkeit in der Schweiz eine Regelung bestanden habe, die «als eigentliche Lohndumping-Maschine» zu bezeichnen sei: das Saisonnier-Statut. Notter präsentierte einen Vorschlag, den Lohnschutz künftig mit Instrumenten des europäischen Rechts zu verbessern. Wie damals nach dem EWR-Nein solle die Schweiz nun ein Folgeprogramm beschliessen, um sich in diesem Bereich besser und europakompatibel aufzustellen. «Das können wir völlig autonom tun.»

Eine Vision für die Rolle der Schweiz in Europa

Bei den Sozialpartnern stösst diese Idee noch auf Zurückhaltung. Sowohl Gewerkschafter Adrian Wüthrich (Travail.Suisse) als auch Arbeitgeberpräsident Valentin Vogt setzen ihre Hoffnung derzeit auf den bundesrätlichen Weg: einen Einstieg in Verhandlungen erst nach vertieften Sondierungen und Abklärungen im Inland. Grundsätzlich aber glauben auch sie, dass dieser Knoten sozialpartnerschaftlich gelöst werden kann. Unternehmerin Aude Pugin, Präsidentin der Waadtländer Industrie- und Handelskammer forderte die Runde auf, diesen Punkt nicht immer isoliert zu betrachten, sondern gemeinsam mit den Chancen besserer Beziehungen mit der EU. Die Schweiz müsse diese Beziehungen «grösser denken und endlich eine Vision für ihre Rolle in Europa entwickeln».

«Handeln wir hier, handeln wir jetzt!»

Die Chancen in den Vordergrund rückten auch verschiedene Vertreterinnen und Vertreter der jüngeren Generationen, die am Anlass auftraten. So zum Beispiel Seraina Campell, Co-Präsidentin des Verbands der Schweizer Studierendenschaften (VSS), die aufzeigte, wieviel Potenzial im Austauschprogramm Erasmus+ stecken würde – gerade für einen Bildungsstandort im Herzen Europas. Die Beziehung Schweiz-EU waren in den letzten Jahren leider geprägt von vielen solchen verpassten Chancen. Monika Rühl, Direktorin von economiesuisse, appellierte deshalb in Bern an die Anwesenden: «Es braucht Lösungen, und wir müssen kompromissbereit sein. Die Uhr tickt. Handeln wir hier, handeln wir jetzt und tragen wir gemeinsam Verantwortung!»

Lohnschutz für alle – mit Europa (Markus Notter)

Arbeitnehmendenschutz und insbesondere der Schutz vor «Lohndumping» ist eine wesentliche Zielsetzung sowohl der EU als auch der Schweiz. Das EU-Recht bietet dafür vielfältige Möglichkeiten, die zum Teil erheblich über den schweizerischen Rechtsrahmen hinausgehen. Innerhalb des europäischen Binnenmarktes soll Wettbewerb herrschen. Das ist sein Existenzgrund. Aber der Wettbewerb darf nicht darauf beruhen, dass in ein und demselben Land Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen gelten, die sich wesentlich danach unterscheiden, ob der Arbeitgeber in diesem Land ansässig ist oder nicht. Der EuGH hat diesen Grundsatz in seiner Rechtsprechung zur revidierten Entsenderichtlinie ausdrücklich bestätigt. Wettbewerb ja, aber zu fairen Bedingungen. Das heisst aber auch, dass die Lohnschutzmassnahmen zur Erreichung der Fairness verhältnismässig, d.h. geeignet und notwendig sein müssen. Es darf damit nicht «Protektionismus» bzw. «Schutz vor unliebsamer Konkurrenz» betrieben werden.


La protection des travailleurs, en particulier la protection contre le „dumping salarial“, est un objectif essentiel de l’UE comme de la Suisse. Le droit de l’UE offre à cet effet de nombreuses possibilités, qui vont parfois bien au-delà du cadre juridique suisse. La concurrence doit régner au sein du marché intérieur européen. C’est la raison de son existence. Mais la concurrence ne doit pas reposer sur l’application, dans un même pays, de conditions de travail et d’emploi qui diffèrent sensiblement selon que l’employeur est établi ou non dans ce pays. La CJCE a expressément confirmé ce principe dans sa jurisprudence relative à la directive révisée sur le détachement de travailleurs. La concurrence, oui, mais à des conditions équitables. Cela signifie aussi que les mesures de protection salariale pour atteindre l’équité doivent être proportionnées, c’est-à-dire appropriées et nécessaires. Il ne doit pas s’agir de „protectionnisme“ ou de „protection contre une concurrence indésirable“.

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Ein Lohnschutz, der wirksam und EU-konform wäre (Markus Mugglin)

Die EU schwenkt auf Gewerkschaftskurs ein. Doch die SP verstrickt sich beim Lohnschutz in Widersprüche, statt die Chance zu nutzen.

Von Markus Mugglin

Es muss ein ganz besonderer Glücksmoment gewesen sein. Es war im Juni dieses Jahres. «Wie Weihnachten und Geburtstag zugleich», hiess es dazu in der Gewerkschaftszeitung «Work» (17. Juni 2022). Ein zweifaches Geschenk an die Gewerkschaften war der Anlass, überbracht ausgerechnet von der EU, die in Gewerkschaftskreisen vor allem verdächtigt wird, Lohndumping zu begünstigen.

Den doppelten Feiertag mit Weihnachten und Geburtstag zugleich hatte der frühere Unia-Co-Präsident Andi Riegerverkündet. Der EU-Rat und das Europäische Parlament hatten gemeinsam einen Entscheid für Mindestlöhne in der EU und für die Förderung von Kollektivverhandlungen gefällt. Ein Entscheid, der – so Andi Rieger – besser sei, als selbst Optimisten zu hoffen gewagt hätten. 24 Millionen Lohnabhängige würden bei einer schnellen Umsetzung substanzielle Lohnerhöhungen erhalten. Fünf Millionen allein in Rumänien, vier Millionen in Italien. Länder, wo weniger als 80 Prozent der Lohnabhängigen einem Gesamtarbeitsvertrag unterstehen, müssten Aktionspläne zur Förderung von Tarifverhandlungen zwischen den Sozialpartnern erstellen.

«Es geht um Grundsätzliches», um mehr als nur einzelne sozialpolitische Verbesserungen, wie sie die EU in jüngerer Zeit beschlossen hatte, kommentierte der ehemalige Unia-Co-Präsident Rieger in seiner Europa-Kolumne: «Um die Aushandlung von Löhnen und Arbeitsbedingungen».

Eine neue Zeit für die Gewerkschaften in Europa kündigt sich an. Und für die Schweiz? «Wann wird der Bundesrat der EU folgen?», fragte Andi Rieger in seiner Kolumne. Und wann die politische Linke?

Geist der Feierstunde ist nicht übergeschwappt

In der Strategie der SP für die Schweizer Europapolitik, die Mitte August leicht überarbeitet an die Gremien der Partei verschickt wurde, hat sich der Entscheid für Mindestlöhne noch nicht wirklich niedergeschlagen. In einem Abschnitt werden zwar «erleichterte gesetzliche Mindestlöhne» und «erleichterte Gesamtarbeitsverträge» vorgeschlagen. Doch die Formulierungen bleiben vage und erstaunlich unverbindlich.

Pro-europäische Töne sind zwar viele im SP-Strategiepapier zu finden. Die vor wenigen Jahren lancierte «europäische Säule sozialer Rechte» wird «als sozialer Wendepunkt» gepriesen. Zahlreiche Vorzüge der EU werden aufgelistet: Der Grundrechteschutz, die Aussen- und die Aussenwirtschaftspolitik, die Klimapolitik, die Unternehmenssteuern.  Europa wird als «die Erweiterung unserer politischen Heimat» gesehen und der Wunsch des EU-Beitritts wird bekräftigt, weil seine Vorteile die Nachteile eindeutig überwiegen würden.

Irrungen und Wirrungen beim Lohnschutz

Doch beim Lohnschutz dreht die Stimmung. Hier verstrickt sich die Strategie in Widersprüche zwischen Einordnen in europäisches Recht und Abschottung gegen dieses Recht. Mal heisst es, das EU-Recht bilde den Rahmen für die Aufrechterhaltung und Weiterentwicklung eines wirksamen Lohnschutzes. Es biete grosse Interpretationsspielräume, die genutzt werden müssten (Seite 33). Wenige Seiten vorher (Seite 28) verbietet man sich hingegen das Einmischen von aussen. Die Schutzmassnahmen müssten in der Kompetenz des Gastlandes von entsendeten Arbeitnehmenden liegen, in der Zuständigkeit von dessen Innenpolitik, «im Sinne der Autonomie der einzelnen Staaten geregelt werden». Die Schweiz soll selber bestimmen können, was sie als EU-Recht konform ansieht. Auch auf Seite 10 geben die Skeptiker den Ton an, wo die mit der Revision der Richtlinie für entsendete Arbeitskräfte verbundenen Veränderungen nur selektiv beschrieben werden. Auf Seite 31 wird hingegen schon fast neidisch aufgezählt, welche sozialen Massnahmen die EU in jüngster Zeit beschlossen hat und die man sich noch so gerne für die Schweiz wünschte.

So gibt es Passagen für die Lohnschutz-Souveränisten und solche für jene, die den Lohnschutz im EU-Recht verankern und fortentwickeln wollen. Und es wird vorgetäuscht, als ob sich Unversöhnliches versöhnen liesse.

Wie ein EU-kompatibler Lohnschutz aussehen könnte

Dank den neuen Entwicklungen in der EU wäre es gar nicht schwierig, die Widersprüche aufzulösen. Was es dazu bräuchte, wären vier Punkte:

  • Erstens müsste anerkannt werden, dass mit der vor kurzem in Kraft gesetzten Entsenderichtlinie tatsächlich ein Paradigmenwechsel stattgefunden hat. Die Dienstleistungsfreiheit gilt nicht mehr absolut, sondern nur noch eingeschränkt. Das in der EU verankerte Ziel eines angemessenen sozialen Schutzes ist jetzt beim Lohnschutz zu beachten.
  • In diesem Sinne würde zweitens EU-Recht gemäss dem Prinzip «gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort» den Rahmen für einen wirksamen und weiter zu entwickelnden Lohnschutz bilden.
  • Drittens gälte es im Rahmen des EU-Rechts ergänzend in einem bilateralen Abkommen sensible Punkte zu klären, damit der Lohnschutz auf die besondere Situation der Schweiz mit den höchsten Löhnen im EU-Binnenmarkt Rücksicht nimmt. Dabei wären Kriterien zur Verhältnismässigkeit von Lohnschutzkontrollen festzulegen, die insbesondere auf die Lage in den Grenzregionen zugeschnitten wären.
  • Viertens soll parallel zu den Verhandlungen mit der EU innenpolitisch ausgehandelt werden, wie die europarechtlich gewährten nationalen Spielräume für die Fortentwicklung des Lohnschutzes genutzt werden sollen. Hier könnte die Übernahme der EU-Richtlinie für Mindestlöhne und die schrittweise Erhöhung der tarifvertraglichen Vereinbarungen ein zentrales Thema sein.

Zum EU-Binnenmarkt gehört nun einmal die „Dienstleistungsfreiheit“ neben dem freien Verkehr von Waren, Kapital und Personen zu den vier Grundfreiheiten. Das mag man gut oder nicht gut finden. Eine Partei, die einen möglichst grossen diskriminierungsfreien Zugang zum Binnenmarkt wünscht, kann aber das Prinzip eines freien Dienstleistungsverkehrs nicht völlig aushebeln. Und da die SP gemäss Strategie die bisher erreichte Teilnahme am EU-Binnenmarkt garantiert haben will und darüber hinaus weitere Marktzugangsabkommen wünscht, verträgt es sich erst recht nicht mit dem Anspruch auf nationale Autonomie und Interpretationen nach eigenem Gutdünken. Über Einschränkungen der Dienstleistungsfreiheit zugunsten eines wirksamen Lohnschutzes lohnt es sich aber zu verhandeln und zu feilschen.

  • Assoziierung statt Bilateralismus
    Um den bilateralen Weg zu stabilisieren, strebt die SP ein Assoziierungsabkommen an. Nicht mehr Rahmenabkommen oder Institutionelles Abkommen soll es heissen. Für die neue Wortwahl führt das SP-Strategiepapier mehrere inhaltliche Gründe an. Der neue Name würde aber vor allem mit einem jahrzehntelangen Missverständnis in der Europapolitik der Schweiz aufräumen. Die sogenannten bilateralen Abkommen waren von Beginn weg nicht wirklich bilateral. Die Schweiz erhielt in Bereichen wie Personenfreizügigkeit, Luft- und Landverkehr, Anerkennung technischer Produktionsstandards und Agrarhandel Zugang zum EU-Binnenmarkt und hatte als Konzession «fremdes Recht» zu übernehmen, wie es der frühere Staatssekretär Rossier einmal treffend und zugleich politisch-provokativ formuliert hatte. Der vor 30 Jahren eingeschlagene «bilaterale Weg» markierte in einigen zentralen Bereichen der Beziehungen zur EU die Abkehr vom Bilateralismus, der vor 50 Jahren mit dem Freihandelsabkommen seinen Anfang nahm.

Der vorliegende Artikel wurde am 02. September 2022 auf infosperber.ch publiziert.