Der Bundesrat hat die Verhandlungen über das Rahmenabkommen mit der EU abgebrochen. Es wird indes unvermeidlich sein, unsere Beziehungen in absehbarer Zeit in einer strukturierten und umfassenden Form festzulegen, denn die Interessen der Schweiz und der EU stimmen in vielerlei Hinsicht überein. In der Zwischenzeit steht der Bundesrat vor Herausforderungen: Er muss seine Glaubwürdigkeit gegenüber der Europäischen Kommission wieder herstellen, erläutern, wie er die Beziehungen zur EU ausbauen will, seine Absichten ankündigen, wie Wirtschaft, Wissenschaft, Kultur und Bevölkerung vor Diskriminierung geschützt werden sollen und – vor allem – die Fehler der Vergangenheit nicht wiederholen.
Diese sind zahlreich. Die ungeschickten, im Voraus vermittelten roten Linien: sie haben zu der Unnachgiebigkeit der Gewerkschaften geführt. Das Wecken falscher Erwartungen: die längere Zeit unwidersprochene Aussage vom 23. November 2018 von EU-Kommissar Hahn «die Verhandlungen sind abgeschlossen», und das Schreiben von Präsident Maurer vom Juni 2019, das den Entwurf des Abkommens insgesamt als positiv bewertet. Das lange Schweigen des Bundesrats, anstatt der Bevölkerung die Vorzüge des Abkommens zu erklären: die Kommunikation wurde weitgehend den Gegnern des Abkommens überlassen, und weitere Fehler.
Ein Problem ist jedoch in den unzähligen Kommentaren über das Scheitern des Rahmenabkommens unbemerkt geblieben: die Bearbeitung des Dossiers durch ein einziges Mitglied des Bundesrates. Bis 2012 zeichneten für das Integrationsdossier zwei Departemente verantwortlich, das Departement für Auswärtige Angelegenheiten und das Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung. Damals wurden die Vorschläge zur Europa-Politik dem Bundesratsgremium gemeinsam von zwei Bundesräten vorgelegt. Mit der Auflösung des ehemaligen „Integrationsbüros“ und der Zuweisung der Verantwortung an ein einziges Departement wurde das Dossier Europa politisch geschwächt. Seitdem kümmert sich nur eine Abteilung des EDA um Europa, das nota bene auf der gleichen hierarchischen Ebene wie die Abteilung Afrika oder Eurasien.
Diese Einreihung ist nicht sachgerecht, denn alle sieben Departemente befassen sich mit der Vielfalt der Beziehungen Schweiz-EU. Die Erfahrungen der letzten Jahre haben gezeigt, dass die Verwaltung und Koordination auf hoher Ebene unter einheitlicher Führung eine Notwendigkeit sind. Mit dem neuen Vorschlag des Bundesrates, einen regelmässigen politischen Dialog mit der EU aufzunehmen, ist dies noch wichtiger geworden. Wer führt diesen Dialog? Wer setzt die Tagesordnung fest und wer definiert die zu verfolgenden Politik?
Aufgrund der überragenden Bedeutung der Beziehung zwischen der Schweiz und der EU muss dieser Dialog auf der präsidialen Ebene der EU und der Eidgenossenschaft geführt werden. Daher sollte das Dossier Europa in die Zuständigkeit der Bundespräsidentin oder dem Bundespräsidenten fallen. Wegen des jährlichen Wechsels unserer Präsidentschaft könnte die Kontinuität der Bearbeitung des Dossiers beispielsweise durch ein neues „Staatssekretariat für europäische Angelegenheiten“ gewährleistet werden, das der jeweiligen Präsidentin oder dem Präsidenten untersteht, oder durch die direkte Beteiligung des Präsidiums an allen europapolitischen Vorschlägen, die vom EDA oder einem anderen Departement dem Bundesratskollegium zugeleitet werden. Die Aufgabe des Präsidiums wäre es, Impulse zu geben, die Koordination der europäischen Dossiers zwischen den verschiedenen Departementen sicherzustellen, die globale Kohärenz anzustreben und für eine zentrale Kommunikation besorgt zu sein. Die sieben Departemente würden ihre jeweiligen Zuständigkeiten behalten, aber die Vorschläge an den Bundesrat zu Europa Fragen sollten über das Präsidium gehen, das die Angelegenheiten dem Bundesratsgremium unterbreitet und in der Öffentlichkeit und gegenüber der EU vertritt. Dies würde dem Thema „Europa“ die gebührende Bedeutung verleihen, die Verantwortlichkeiten klären und die strategische Führung des Dossiers stärken.
Jean-Daniel Gerber
Ehemaliger Staatssekretär für Wirtschaft
Dieser Beitrag ist eine Übersetzung des französischen Originals, welches am 04. Juni 2021 im Le Temps publiziert wurde.