Österreich bleibt neutral ist jedoch im Rahmen der Mitgliedschaft in der EU mit ihren europäischen Partnern voll solidarisch. Und die Schweiz?

von Josef Aregger, Wien 24.4.2023

Wie die Schweizer sind auch die Österreicher und die Österreicherinnen grossmehrheitlich überzeugt, dass die Neutralität ihres Landes identitätsstiftend und wertvoll ist. Sie hat dem Land massgeblich geholfen, den Staatsvertrags von 1955 abzuschliessen und damit entscheidend zur Wiedererlangung der vollen Souveränität beigetragen. In einer Umfrage angesichts des Ukrainekriegs haben 70 % der Befragten erklärt, die Neutralität sei ihnen sehr wichtig und für weitere 21 % war sie eher wichtig.[1] Und trotzdem wird Österreich wegen des Status als immerwährend neutrales Land nach dem Vorbild der Schweiz deutlich weniger an den Pranger gestellt als die Schweiz.

Dies ist allerdings nicht erstaunlich. Denn seit dem Beitritt zur EU gilt laut dem Artikel 23j des österreichischen Verfassungsgesetzes, dass die Neutralität nicht zur Anwendung kommt, wenn die EU im Rahmen der Gemeinsamen Aussen- und Sicherheitspolitik (GASP) einschliesslich der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik handelt. In der österreichischen Presse liest man den Satz: „Die Neutralität stellt in den Augen der Partnerstaaten kein Problem dar, solange Vertreter aus Wien sich daran halten, was das Land bereits 1995 beim EU-Beitritt vertraglich zugesichert hat: im Krisenfall steht Solidarität über der Neutralität. Samt Beistandspflicht.“[2]

Somit trägt Österreich in solidarischer Weise seinen Teil zur Finanzierung der Friedensfazilität bei. Unter dem Namen Friedensfazilität hat die EU einen haushaltexternen Fonds eingerichtet zur Verbesserung der Fähigkeit zur Konfliktverhütung, zur Friedenskonsolidierung und zur Stärkung der internationalen Sicherheit Die Obergrenze des Fonds wurde am 13. März 2023 für den Zeitrahmen bis 2027 auf insgesamt knapp 8 Mrd. € angehoben. Der Rat der Europäischen Union hat am 20. März 2023 im Rahmen der Friedensfazilität die Lieferung und Beschaffung von Munition für die Ukraine beschlossen. Das neutrale Österreich bezahlt seinen Beitrag nach dem Schlüssel, der sich nach dem BIP der Mitgliedstaaten richtet. Sodann gibt’s einen Beschluss der EU, der die Mitgliedstaaten verpflichtet, Waffentransport in die Ukraine durch ihr Staatsgebiet zuzulassen. Auch diesen Beschluss trägt Österreich mit.

Aber nicht nur als EU-Mitglied sind im Verfassungsgesetz Grenzen der Neutralität festgeschrieben. Die Neutralität kommt ebenfalls nicht zur Anwendung, wenn der UNO-Sicherheitsrat Massnahmen nach Kapitel VII der Satzung der Vereinten Nationen anordnet. Dies gilt aufgrund einem seit 1990 (Überfall auf Kuweit) geltenden revidierten[3] Verständnis der aus der Satzung der Vereinten Nationen erwachsenden Verpflichtungen.

Die FPÖ kritisiert die Regierungspolitik und lehnt die Verpflichtungen, die durch den EU-Beitritt eingegangen wurden ab genauso, wie dies die SVP und weite Kreise darüber hinaus in der Schweiz praktizieren. Jedoch in Österreich sind die Entscheidungen im Sinne des oben ausgeführten längst gefallen und erlauben dem Land als neutraler Staat Solidarität zu zeigen, weil die Neutralität klar auf den militärischen Teil derselben beschränkt ist.

Was ist daraus zu schliessen? Österreichs Neutralität unterscheidet sich beträchtlich von der Praxis der schweizerischen Neutralität. Die Schweiz hingegen scheut die innenpolitische Auseinandersetzung, obwohl es nicht darum geht, die Neutralität abzuschaffen. Es ist lediglich notwendig, die Handhabung des Instruments der Neutralität an die Anforderungen der heutigen Situation und an die aussenpolitischen Interessen des Landes anzupassen.

  • Um die Zustimmung in der Volksabstimmung über den UNO-Beitritt nicht zu gefährden haben die Befürworter im Vorfeld der Abstimmung von 2002 daran festgehalten, dass sich mit der Mitgliedschaft in der UNO für die Neutralität nichts ändert. Die Schweiz hält an ihrer Praxis der Neutralität vollumfänglich fest, obwohl es wenig sinnvoll ist, der Weltöffentlichkeit erklären zu wollen, dass wir in einem Konflikt, in dem der UNO-Sicherheitsrat Massnahmen ergreift, die UNO nicht unterstützen können, weil wir neutral sind. Im Ukrainekrieg kommt dies ohnehin nicht infrage, weil Russland jede Massnahme des Sicherheitsrates mit seinem Veto verhindert. Abgesehen davon können wir jedoch auch unsere nächsten Partner, auf die wir wirtschaftlich und politisch und letztlich auch sicherheitspolitisch angewiesen sind nicht überzeugen, dass wir ein wichtiger Partner bleiben, wenn wir im Krieg Russlands gegen die Ukraine abseits stehen. Die Neutralität der Schweiz muss um sinnvoll zu sein auch im Interesse der Staaten bleiben, die die Neutralität anerkennen.
  • Im aktuellen Konflikt in der Ukraine werden wir als nicht neutral betrachtet, weil wir mit unserer Weigerung, der Weiterlieferung von schweizerischen Gepardpanzern und der dazugehörigen Munition aus Deutschland an die Ukraine zuzustimmen, in den Augen unserer Kritiker gleichsam Russland helfen. Österreich hingegen gilt weiterhin als neutral. Natürlich ist der an die Schweiz gerichtete Vorwurf rein rechtlich nicht haltbar. Beim Beharren auf unserem Standpunkt in koolhaasscher Manier geht jedoch viel aussenpolitische Reputation verloren.
  • Und es wäre wohl sinnvoll, wenn die Schweiz bei der Aufspürung der Oligarchengelder mit den westlichen Partner enger zusammenarbeitete. Damit würde sie zeigen, wie sehr ihr daran liegt, solidarisch zu sein. Ob Gelder aus eigentumsrechtlichen Gründen zu sperren oder zu konfiszieren sind, kann ja erst entschieden werden, wenn die Konten und Vermögen bekannt sind. Sich hinter der Neutralität zu verstecken ist allemal für den Status der schweizerischen Neutralität schädlich.

[1] 3. und 4. März 2022 online durchgeführte Umfrage der Österreichischen Gesellschaft für Europapolitik (ÖGfE).

[2] Der Standard vom 11.4.2023: Österreich in Europas Sicherheitspolitik, und doch nicht ganz dabei.

[3] Am 9. August 1990 verabschiedete der UN-Sicherheitsrat einstimmig die Resolution 662, welche die Annexion Kuwaits durch den Irak für „null und nichtig“ erklärte und die Wiederherstellung der Souveränität, Unabhängigkeit und territorialen Integrität Kuwaits forderte.

«Nur im Krieg zeigt sich…wer deine echten Freunde sind» (Daniel Woker)

Dies sagt der ukrainische Berufssoldat «Waleri» in einer NZZ-Reportage aus Grossbritannien. An einem geheimen Ort in Südwestengland wird er zum Kampf gegen Putins völkermörderische Armee ausgebildet. Die Aussage zeigt: Die Schweiz ist kein echter Freund der Ukraine.

«Wenn es irgendeine Möglichkeit gibt, uns mehr Waffen und Munition zu schicken, dann tut das bitte», sagt Waleri in der NZZ-Reportage. «Wir brauchen für die kommenden Monate wirklich alles, was wir bekommen können.»

Grossbritannien hat in absoluten Zahlen nach den USA am meisten Mittel zur Unterstützung der Ukraine ausgegeben. Dazu gehören schwere Panzer und die Ausbildung ukrainischer Militärangehöriger. Die Schweiz könnte beides auch tun, tut es aber nicht.

Panzer

Bekanntlich stünden seit Monaten eine grosse Anzahl von ausgemusterten Kampfpanzern Leopard II in der Ostschweiz bereit, um im Ringverkauf via Deutschland oder direkt an die Ukraineabgegeben zu werden. Dies hat auch die schweizerische Verteidigungsministerin bestätigt. Entgegen den Behauptungen des Gesamtbundesrates ist dies sowohl von der Neutralität her, wie das die namhaftesten Völkerrechtler der Schweiz erschöpfend dargelegt haben, als auch basierend auf der geltenden Gesetzgebung über Kriegsmaterialausfuhr möglich: wenn nötig mit Notrecht, welches vom selben Bundesrat zur Rettung des Finanzplatzes Schweiz schnell und ohne Gewissensbisse angewandt worden ist.

Ausbildung

Die Schweiz könnte ohne weiteres jetzt ukrainische Soldatinnen und Soldaten ausbilden, wenn wir nur wollten.

Wie das, da sich doch die Ukraine im Krieg befindet?

Die Antwort ist in dieser Antwort des Bundesrates auf eine Interpellation von Nationalrat Pierre-Alain Fridez vom 19.9.2012 zu finden:

(Es trifft zu, dass) russische Soldaten in den Genuss einer militärischen Ausbildung durch die Schweizer Armee gekommen sind. Zwei Detachemente der russischen Streitkräfte haben dieses Jahr in Andermatt im Kompetenzzentrum Gebirgsdienst eine Ausbildung absolviert.

Das war zwar vor dem Beginn von Putins Aggression gegen die gesamte Ukraine, aber nur kurz vor dem von Russland entfesselten Donbass-Konflikt und nach den russischen Aggressionen in Georgien und anderen Regionen der ehemaligen UdSSR. Die wahre Absicht von Putin, das ganze Gebiet der UdSSR wiederherzustellen, war schondamals publik und allgemein bekannt. Offensichtlich hat damals die Neutralität für den Bundesrat keine Rolle gespielt, sondern, wie er in der Interpellationsantwort ausführt:

Zu dieser auf Vertrauen und Gegenseitigkeit beruhenden Zusammenarbeit(mit Russland) zählen auch regelmässige Konsultationen auf den Gebietender Menschenrechte und der Sicherheit.

Die Moral

Nach all den politischen, juristischen und auch wirtschaftlichen Argumenten, ist die Moral der wichtigste Grund, weshalb die Schweiz mehr für die um ihr Überleben kämpfenden Ukraine tun muss.

Einer der berühmtesten, mit europäischen Preisen überhäufter, zeitgenössischer Schriftsteller der Ukraine, der in Russland geborene und im Original russisch schreibende Andrei Kurkow, ein mit einer Engländerin verheirateter ukrainischer Staatsbürger, welcher mitseiner Frau in der Ukraine ausharrt, schildert ebenso konzis wie unnachahmlich, wie es sich anfühlt von einem «Brudervolk» mit Krieg, Verwüstung, Folter und Tod überzogen zu werden. Mit dem er zudem eine Kultur teilt, welche zu den wichtigsten Weltkulturen gehört und unvergleichliche Literatur geschaffen hat. Eine Kultur, welche nun von Putin, seinen Schergen und seinen schleimenden Lawrow-Diplomaten in den Schmutz gezogen und nachhaltig beschädigt wird. (Andrei Kurkov, Tagebuch einer Invasion: Aufzeichnungen aus der Ukraine, Maymon, Oktober 2022).

Den schweizerischen Neutralität-Fetischisten ist anzuraten, Kurkows Buch aufmerksam zu lesen: Wenn sich diese dann, ohne Schamröte im Gesicht, weiterhin zur reinen und vollständigen Neutralität bekennen, welche zu wichtig sei, um kurzfristigen moralischen Einwänden Rechnung zu tragen – wie sich ein Genfer Völkerrechtsprofessor gegenüber dem Schreibenden sinngemäss ausgedrückt hat – tragen sie die volle Verantwortung, als vermeintliche Experten die Schweiz auf den moralischen Irrweg geführt zu haben.

Kein Freund

Kein Freund der Ukraine zu sein in ihrer schwersten Stunde – der anlaufende Befreiungsvorstoss in der Ost- und Südukraine dürfte entscheidend werden – wird für die Schweiz Folgen haben. Politische, wirtschaftliche und vor allem auch moralische. Im Gegensatz zum Brexit-Grossbritannien, das sich nicht nur mit Worten, sondern auch mit Taten in der Ukraine engagiert, zeigen wir uns nicht solidarisch mit dem demokratischen und rechtsstaatlichen Europa. Daran wird die Schweiz gemessen werden, von unseren gleichgesinnten ausländischen Partnern und auch von den zukünftigen schweizerischen Chronisten. Gewogen und zu leicht gefunden.

G-7-Schelte für die Schweiz (Daniel Woker)

Einmal mehr geht eine Welle selbstgerechter Entrüstung durch die Schweiz: Die G-7 schilt die Schweiz wegen ungenügender Unterstützung der Ukraine und fehlender Gründlichkeit bei den Sanktionen gegen Russland; die Botschafter dieser Länder in Bern werden zu einem ‘klärenden’ Gespräch’ zitiert. 

Behördliche Reaktionen und jene in den Medien sind eindeutig: wie können sie das wagen, wo wir doch alle Sanktionen mitmachen und eben gleichzeitig ein sprichwörtlicher Rechtsstaat sind. Aber ist diese Pose selbstgerechten Patriotismus’, die Rolle der beleidigten Souveränitäts-Leberwurst angebracht? Eine nüchterne Betrachtung fällt klar negativ aus; es wäre vielmehr angebracht, die Demarche unserer wichtigsten Partnerländer als Alarmzeichen aufzufassen und unsere gesamte Ukrainepolitik einer Prüfung zu unterziehen.

Schlusslicht Schweiz

Die Schweiz ist am Schwanz der Rangliste aller westlichen Länder bei der Unterstützung der Ukraine gegen den Kriegsverbrecher Putin und seinen Aggressionskrieg. Die G-7 hat recht, die Schweiz muss und kann mehr tun. Die Lieferung von Kriegsmaterial, auch im Ringverkauf via eine dritte Partei, ist im Moment blockiert durch den Bundesrat. Die gegenwärtige offizielle Politik der Schweiz liegt damit auf der Linie rechter Nationalisten in der SVP und naiver Pazifisten in der grünen Partei, dürfte aber kaum einer Mehrheit in der Schweiz entsprechen.

Die viel zitierte und zur Verteidigung der offiziellen Position gern vorgebrachte humanitäre Hilfe, welche die Schweiz doch liefere – welche uns bislang nicht von den hintersten Rängen westlicher Unterstützung fortgebracht hat – reicht keineswegs aus, um den völligen Mangel an handfester Unterstützung zu kompensieren. Damit ist primär Kriegsmaterial und sind weiter Milliardenbeträge zur Zahlungsbilanzhilfe gemeint. Dieser Mangel wird auch keineswegs kompensiert durch die neu von BR Cassis genannten, höheren Beträge von humanitärer Hilfe, welche zudem teilweise auf Kosten anderer, eigentlich bereits zugesprochener Unterstützung im Ausland gehen.

Hinhaltepolitik

Vollends offensichtlich ist die Hinhaltepolitik des offiziellen Bern, was sowohl die Verwendung russischer Vermögenswerte als auch die Tätigkeit, und die Finanzen von in der Schweiz domizilierten Handelsunternehmen mit russischen Rohstoffen anbelangt. Als weltweiter Leader in der Vermögensverwaltung und Rohstoffhandelsplatz ist der Finanzplatz Schweiz eben auch Hauptdrehscheibe für russische Vermögen. Ein abstraktes Recht auf russisches Eigentum mit den buchstäblich von Tod und Vernichtung bedrohten Ukrainerinnen und Ukrainer – und deren Unterstützung durch beschlagnahmte russische Vermögenswerte – auf dieselbe Ebene zu stellen, ist lächerlich. Die russischen Gelder in der Schweiz stammen mindestens von Diebstahl am russischen Volksvermögen her – Stichwort überstürzte Privatisierung nach dem Zusammenbruch der UdSSR – und maximal von Korruption und der Umgehung von rechtsgültigen Sanktionen. Dies sind alles strafrechtliche Tatbestände, die hier das ‘Recht auf Eigentum’ absurd erscheinen lassen.

Schweizerisches Echo

Die Charakterisierung der diplomatischen Vertreter der G-7 Staaten, welche entsprechend beim Bundesrat vorstellig werden, als ‘Radau Diplomaten’, zu bezeichnen, so ein TA-Journalist, ist unklug und kontraproduktiv. Dies weil das Ansehen der Schweiz und damit auch die Einstellung unserer Partnerländer gegenüber schweizerischen Begehren, wie beispielsweise in der Europapolitik, sich momentan auf einem Tiefstand befindet. Zum selben Zeitpunkt, da letztere völlig festgefahren ist und ein globaler Bankencrash auch in der Folge der selbstverschuldeten Kernschmelze der Credit Suisse nur knapp abgewendet worden ist, stellen wir gegenüber der Ukraine auf stur. Wenn uns dies unsere wichtigsten und besten Partner via ihre Vertreter in der Schweiz in Erinnerung rufen, sind diese nicht ‚Radaubrüder‘, sondern tun ihren Job als Vertreter ihrer Regierungen.

Auch ein Rechtsprofessor, der in einem TA-Interview meint, es gäbe keinerlei Beweise für unrechtmässige Vermögenswerte von Russland und seinen Staatsangehörigen in der Schweiz, müsste vorsichtig sein. Die Vorwürfe der G-7 und speziell der USA würden wohl kaum in dieser öffentlichen Form vorgebracht werden, wenn nicht geheimdienstliche Erkenntnisse vorliegen würden, die das Gegenteil beweisen. Eine schweizerische Teilnahme an der internationalen Taskforce zur Überwachung der Ukrainesanktionen ist überfällig. Wenn diese dereinst die Beschlagnahmung russischer Vermögenswerte beschliesst, wird sich die Schweiz ohnehin anschliessen müssen. Wenn nötig mit Notrecht. Der Bundesrat hat mit der eigenmächtigen Abschreibung auf Null von international breit gestreuten CS-Obligationen eben erst gezeigt, dass dies im Notfall ohne weiteres möglich ist.

Der Notfall ist da

Hier liegt denn auch der springende Punkt. Im Gegensatz zum übrigen Westen hat man in Helvetien offenbar noch nicht begriffen, dass mit russischer Aggression und Putins Völkermord gegen die Ukraine ein wirklicher Notfall bereits eingetreten ist, für die Schweiz, für Europa und, zumindest, die Gesamtheit westlicher Länder. Um Putins Expansionswahn wirklich zu begegnen, muss er zunächst eine deutliche sichtbare Niederlage erleiden. Dies ist nur mit schneller und handfester Hilfe aus dem Westen möglich; erst dann kann über einen Waffenstillstand , damit den Wiederaufbau der Ukraine und später über vom Westen garantierte Grenzen gegen Russland gesprochen werden.

Wir sollten also die G-7 Mahnungen ernst nehmen, anstatt mit gekränktem Patriotismus wild um uns zu schlagen. Bekanntlich folgen auf diplomatische Demarchen Massnahmen, welche dann wirklich weh tun können, wie Boykotte und weiteres mehr.

Für einen bilateralen Pakt Schweiz-EU (D. Farman, I. Knobel, F. Vogel)

Vor genau einem Jahr im Februar 2022, präsentierte der Bundesrat einen neuen Verhandlungsansatz, um die Schweiz aus der europapolitischen Blockade zu führen. Inzwischen haben Sondierungsgespräche mit der EU stattgefunden, doch noch bestehen Hindernisse für eine einvernehmliche Lösung zur Fortsetzung des bewährten bilateralen Wegs. Diese gilt es zu überwinden.

Zur Weiterentwicklung des bilateralen  Wegs schlägt  dieses Diskussionspapier einen  bilateralen Pakt mit der EU vor. Mit den drei Dimensionen “Werte”, “Menschen” und “Zusammenarbeit” identifiziert dieses Diskussionspapier 15 Bedürfnisse der Schweiz und der EU, darunter Gleichbehandlung, Flexibilität und Effizienz, und analysiert zu welchem Grad sie tatsächlich ein Problem in den Verhandlungen darstellen.

Hier weiterlesen.

Swissmem-Präsident Martin Hirzel: «Es muss beim Thema der Bilateralen endlich vorwärtsgehen»

Die Maschinenindustrie in der Schweiz ist unter Druck. Dennoch hält der Präsident der Branchenorganisation nichts von Subventionen und Industriepolitik wie in Deutschland und der EU. Essenziell sind für ihn die Integration in den europäischen Binnenmarkt, die Personenfreizügigkeit und Freihandelsabkommen.

Das vollständige Interview können Sie hier lesen.

Interessenpolitik allein reicht nicht aus (Jean-Daniel Gerber)

Die Schweiz muss gegenüber der EU ihre Interessen verfolgen. Gleichzeitig muss sie aber auch darlegen können, wie sie sich ihre Rolle in einem zukünftigen Europa vorstellt.

Anfang Dezember 2022 publizierte der Bundesrat seine «Lagebeurteilung über die Beziehungen Schweiz – EU». Die Regierung gibt sich in ihrer Beurteilung vorsichtig optimistisch. Die EU respektiere den Schweizer Ansatz, bei der Personenfreizügigkeit Ausnahmen vorzusehen, und zeige Offenheit, diese Ausnahmen nicht der Auslegungskompetenz des Europäischen Gerichtshofs zu unterstellen.

Den vollständigen Kommentar können Sie hier lesen.

Worte statt radikale Aktionen (GFGZ)

Der Frauenfelder Produktionsmechanikerlehrling Almir Selimi ist ein konstruktiver Klimajugendlicher.

Er ist kein Lautschreier. Keiner, der Aufsehen erregen will. Keiner, der sich auf Hauptstrassen festklebt oder in Museen Kunstwerke beschädigt. Almir Selimi ist Produktionsmechanikerlehrling im dritten und letzten Lehrjahr. Vor kurzem erst ist er 18 Jahre alt geworden. Zu spät für den jüngsten Abstimmungssonntag in Frauenfeld vom 27. November. Das nächste Mal, am 12. März, will er sicher teilhaben, wenn dann der Frauenfelder Stadtrat zur Wahl steht. Selimi bedient keine Klischees als Lehrling. Er spielt zwar leidenschaftlich Fussball, seit seinem sechsten Lebensjahr beim FC Frauenfeld, aber er fährt am liebsten mit dem ÖV, nicht mit dem eigenen Chlapf, der wohl eben doch nur geleast ist. Er sorgt sich um die Zukunft, nicht um die nächste Party. Selimi ist Schweizer, seine Eltern stammen aus Nordmazedonien. Die Familie hat beide Staatsbürgerschaften. «An das Abfalltrennen kann ich mich schon als ganz kleiner Bub erinnern.» Seine Eltern haben Selimi damit geprägt. Heute macht er im Alltag, was er kann, damit die Generation, die nach ihm kommt, auch noch eine Erde hat. Nebst dem ÖV-Fahren ist es das Energiesparen, das ihm wichtig ist. «Wir verbrauchen viel zu viel Strom», sagt er. Bei den beiden Fernwärmeausbau-Vorlagen in Frauenfeld Ende September hätte er gerne ein Ja eingelegt. Ob er bewusster lebe als andere Gleichaltrige? Er zuckt mit den Schultern, das wisse er nicht.

Den vollständigen Artikel können Sie hier lesen.

Rümlangerin beteiligt sich an regionalem Klimaprojekt (GFGZ)

Michelle Spring aus Rümlang ist eine von 24 jungen Leuten, die sich am grenzüberschreitenden Projekt „Klimawandel in Deiner Region – engagiere Dich jetzt“ der Länder Deutschland, Österreich, Schweiz und Liechtenstein beteiligen.

Den vollständigen Artikel können Sie hier lesen.

Beim Klima trägt der Einzelne Verantwortung für das Ganze (GFGZ)

24 Jugendliche aus der Bodenseeregion fordern mit ihrem Projekt „Klimawandel in deiner Region – engagier dich jetzt!“ ein Menschenrecht auf Klimaschutz. Sie wollen sich mit einem Strategiepapier Gehör beim Europaparlament verschaffen. Gleichzeitig geht es auch darum, in der Vierländerregion Grenzen aufzubrechen.

Hier geht es zum vollständigen Artikel.

Die Schweiz in Europa: Aufruf zum Handeln (Joseph Deiss)

Abseitsstehen ist keine Geste der Souveränität, sondern des Versagens. Durch das Mittragen von Entscheiden und durch Zusammenarbeit übt eine Nation ihre Macht aus und schützt sie. Ein Co-Pilot wirkt souveräner als ein blinder Passagier.

« Seit 1977 hat die Schweiz ihre handelspolitischen Ziele weitgehend erreicht. Sie ist in eine breite europäische Freihandelszone integriert, konnte aber trotzdem ihre Handelsunabhängigkeit, ihre Neutralität und ihren Agrarprotektionismus zu bewahren. » So schrieb ich 1979 in meinem Buch „Economie politique et politique économique de la Suisse“ (S. 259) über das Freihandelsabkommen zwischen EWG und EFTA, das am 3. Dezember 1972 mit 72,5% Ja-Stimmen vom Schweizer Volk angenommen wurde.

Das war vor genau 50 Jahren. Ich konnte mir damals nicht vorstellen, wie falsch diese Schlussfolgerung war, indem ich einerseits die erstaunliche Beschleunigung ignorierte, die die europäische Integrationsbewegung unter dem Anstoss von Jacques Delors erfahren wird, und andererseits, weil ich die Enge dieses Vertrags vergass, der sich auf Zollfragen für Waren beschränkte, während sich fortgeschrittene Länder wie das unsere auf Dienstleistungswirtschaften mit 80 % der Arbeitsplätze im tertiären Sektor zubewegten.

Zwanzig Jahre später kam dann der historische Fehltritt vom 6. Dezember 1992, als das Schweizer Volk, zugegebenermassen mit sehr knapper Mehrheit, den Europäischen Wirtschaftsraum ablehnte. Eine solche Gelegenheit wird nie wieder kommen. Nie wieder wird uns die volle Teilnahme am Gemeinsamen Markt zu so vorteilhaften Bedingungen angeboten werden.

Lamentieren nützte da nichts. Wir mussten uns der Herausforderung unserer Marginalisierung und der Stagnation der neunziger Jahre stellen. Die Bilateralen Abkommen I wurden im Jahr 2000 mit 67,8% Ja-Stimmen angenommen, die Bilateralen Abkommen II im Jahr 2004, wo die Schweiz die Freizügigkeit mit 56% bestätigte und unseren Beitritt zu Schengen mit 54,6% akzeptierte, beide anlässlich der Abstimmungen im Jahr 2005.

Das Schweizer Volk hatte weiter die Möglichkeit, sein Bekenntnis zur Personenfreizügigkeit mit 59,6% im Jahr 2009 und durch die Ablehnung der Initiative «Für eine massvolle Zuwanderung» mit 61,7% Nein-Stimmen am 27. September 2020 zu bestätigen.

Für die stark von der internationalen Arbeitsteilung abhängige Schweiz ist der freie Zugang zu den Märkten seiner wichtigsten Partner lebenswichtig. Der schliesslich gewählte Weg der bilateralen Abkommen führt jedoch zu einem fragilen und komplizierten Konstrukt. Mein Freund Jagdish Bhagwati, Professor an der Columbia University und grosser Verfechter des Freihandels, vergleicht es mit der berühmten „Spaghetti Bowl“ und zitiert das Prinzip, wonach „man durch Teile nicht optimieren kann“. Ich habe ihm immer geantwortet, dass Realismus in der direkten Demokratie oft die Bevorzugung des Zweitbesten, aber politisch Durchführbaren erfordert, anstatt das Unrealisierbare Erstbeste des Wissenschaftlers anzupeilen.

In der Bildsprache hat die Schweiz deshalb ein Netz von Hängebrücken, die wacklig sind und teuer im Unterhalt, der stabilen und leichter zu wartenden Plattform vorgezogen. Die Zerbrechlichkeit dieser bilateralen Konstruktionen äussert sich in den Unfällen, die immer wieder möglich sind. Ich denke an die Annahme der Initiative «Gegen die Masseneinwanderung» am 9. Februar 2014, an die Ablehnung des institutionellen Abkommens durch den Bundesrat am 26. Mai 2021 oder an die durch das Parlament erzwungene Rücknahme des Beitrittsgesuchs am 15. Juni 2016.

Hinzu kommt die rasche Alterung dieser Texte unter dem Druck des technischen Fortschritts oder der politischen Entwicklung. Ohne Aktualisierungen werden diese Verträge ausgehöhlt oder sogar obsolet. All dies hat dazu beigetragen, ein schädliches Klima zwischen der Schweiz und Brüssel zu schaffen. Diese Entwicklung birgt die Gefahr, die gesamte Konstruktion der Abkommen zu gefährden. Und das, obschon es der Schweiz in den letzten Jahren gelungen war, angesichts des beeindruckenden Umfangs der Wirtschaftstätigkeit mit den Mitgliedern der Union, eines der Länder zu sein, die de facto am besten in die grosse Wirtschaftsgemeinschaft integriert sind, das aber bei der Gestaltung der Zukunft unseres Kontinents am wenigsten mitbestimmen kann oder, besser gesagt, will.

Man kann es drehen und wenden, wie man will, Geschichte, Geografie, Wirtschaft, Kultur, Werte, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, alles kommt zusammen, um uns daran zu erinnern, ob man es nun will oder nicht, dass die Länder Europas eine berufene Schicksalsgemeinschaft bilden, die auf einfachen und grundlegenden Fakten beruht. Dem Alten Kontinent wird die Neuausrichtung der Kräfte auf planetarischer Ebene nur gelingen, wenn er über interne Kontroversen hinausgeht und eine Einheitsfront gegen die anderen grossen Formationen darstellt, die um die Herrschaft der Welt wetteifern.

Der schmutzige Krieg in der Ukraine hat dies deutlich gezeigt. Die Fragen der Kooperation und der Sicherheit innerhalb Europas müssen bei Schönwetterlage geklärt werden. Wenn man mitten in einer Katastrophe reorganisieren muss, ist es meistens zum Scheitern verurteilt. Was tun, wenn eine grosse Atommacht alle Stricke des Völkerrechts, der Menschenrechte und der Vernunft zerreisst, und man nicht darauf vorbereitet ist? Und die Schweiz kann nicht abseitsstehen. Teil der Mitentscheidungsträger zu sein, ist immer souveräner als die Rolle des Trittbrettfahrers. Daher ist es dringend erforderlich, dass wir unsere Beziehungen zur Europäischen Union auf der Grundlage gegenseitigen Vertrauens wiederherstellen, wissend, dass jedes Abkommen Vorteile bringt, aber auch seinen Preis hat.

Unser heutiger Appell spiegelt diese Überzeugung wider. Wir brauchen einen breiten eidgenössischen Konsens der Kräfte an allen Fronten, um solche Fortschritte zu ermöglichen. Unser Handeln zielt nicht darauf ab, die Regierung zu belehren oder sich in die politischen Fragen des Alltags einzumischen. Die 200 Persönlichkeiten aus allen Lebensbereichen, Wirtschaft, Wissenschaft, Kultur, Politik wie auch ganz einfache Bürger die wir sind bekennen öffentlich, dass es in diesem Land breite Kreise gibt, leider eine oft schweigende Mehrheit, die die vitale Bedeutung dieser Wechselwirkungen anerkennen und bereit sind, Bundesrat und Parlament dabei zu unterstützen, in Richtung der Stabilität unserer gesamten vertraglichen Beziehungen zur Europäischen Union zu handeln.

Wir wollen eine Lähmung unserer Beziehungen zur Europäischen Union vermeiden. In diesen Zeiten der Rivalität zwischen den grossen planetarischen Polen, der wachsenden Feindseligkeit gegenüber der westlichen Welt, zu der auch wir gehören, im Moment da vor ihren Toren ein grausamer, verbrecherischer und unmenschlicher Krieg wütet, hat es keinen Sinn, sich auf den spontanen guten Willen anderer zu verlassen oder der Versuchung des einsamen und isolationistischen Weges erliegen zu wollen. In Europa, inklusive, Schweiz, ist nur eine verlässliche Partnerschaft, die durch ein breites und dauerhaftes Abkommen garantiert wird, für die Bewältigung der Zukunft tauglich. Das ist unsere Überzeugung, und deshalb sind wir bereit, uns persönlich einzusetzen, indem wir unsere Unterschrift unter unseren Appell setzen und unser gemeinsames Verantwortungsbewusstsein bezeugen.