GFGZ: Herausforderung Klimawandel – Jugendbegegnung Strassburg 2022/23

Dass der Klimawandel bzw. der Umgang mit seinen Folgen auf die internationale Agenda kam, ist der Jugendbewegung Friday’s for Future und ihren Demonstrationen zu verdanken. Der Klimawandel und seine Folgen sind auch in der Region Bodensee zu spüren. Allerdings hat der Klimawandel vor allem Folgen für die kommende Generation. Die IBK möchte der jüngeren Generation Gelegenheit geben, Vorschläge zu machen, diese zu diskutieren und ihre Realisierung zu planen.

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Ein Lohnschutz, der wirksam und EU-konform wäre (Markus Mugglin)

Die EU schwenkt auf Gewerkschaftskurs ein. Doch die SP verstrickt sich beim Lohnschutz in Widersprüche, statt die Chance zu nutzen.

Von Markus Mugglin

Es muss ein ganz besonderer Glücksmoment gewesen sein. Es war im Juni dieses Jahres. «Wie Weihnachten und Geburtstag zugleich», hiess es dazu in der Gewerkschaftszeitung «Work» (17. Juni 2022). Ein zweifaches Geschenk an die Gewerkschaften war der Anlass, überbracht ausgerechnet von der EU, die in Gewerkschaftskreisen vor allem verdächtigt wird, Lohndumping zu begünstigen.

Den doppelten Feiertag mit Weihnachten und Geburtstag zugleich hatte der frühere Unia-Co-Präsident Andi Riegerverkündet. Der EU-Rat und das Europäische Parlament hatten gemeinsam einen Entscheid für Mindestlöhne in der EU und für die Förderung von Kollektivverhandlungen gefällt. Ein Entscheid, der – so Andi Rieger – besser sei, als selbst Optimisten zu hoffen gewagt hätten. 24 Millionen Lohnabhängige würden bei einer schnellen Umsetzung substanzielle Lohnerhöhungen erhalten. Fünf Millionen allein in Rumänien, vier Millionen in Italien. Länder, wo weniger als 80 Prozent der Lohnabhängigen einem Gesamtarbeitsvertrag unterstehen, müssten Aktionspläne zur Förderung von Tarifverhandlungen zwischen den Sozialpartnern erstellen.

«Es geht um Grundsätzliches», um mehr als nur einzelne sozialpolitische Verbesserungen, wie sie die EU in jüngerer Zeit beschlossen hatte, kommentierte der ehemalige Unia-Co-Präsident Rieger in seiner Europa-Kolumne: «Um die Aushandlung von Löhnen und Arbeitsbedingungen».

Eine neue Zeit für die Gewerkschaften in Europa kündigt sich an. Und für die Schweiz? «Wann wird der Bundesrat der EU folgen?», fragte Andi Rieger in seiner Kolumne. Und wann die politische Linke?

Geist der Feierstunde ist nicht übergeschwappt

In der Strategie der SP für die Schweizer Europapolitik, die Mitte August leicht überarbeitet an die Gremien der Partei verschickt wurde, hat sich der Entscheid für Mindestlöhne noch nicht wirklich niedergeschlagen. In einem Abschnitt werden zwar «erleichterte gesetzliche Mindestlöhne» und «erleichterte Gesamtarbeitsverträge» vorgeschlagen. Doch die Formulierungen bleiben vage und erstaunlich unverbindlich.

Pro-europäische Töne sind zwar viele im SP-Strategiepapier zu finden. Die vor wenigen Jahren lancierte «europäische Säule sozialer Rechte» wird «als sozialer Wendepunkt» gepriesen. Zahlreiche Vorzüge der EU werden aufgelistet: Der Grundrechteschutz, die Aussen- und die Aussenwirtschaftspolitik, die Klimapolitik, die Unternehmenssteuern.  Europa wird als «die Erweiterung unserer politischen Heimat» gesehen und der Wunsch des EU-Beitritts wird bekräftigt, weil seine Vorteile die Nachteile eindeutig überwiegen würden.

Irrungen und Wirrungen beim Lohnschutz

Doch beim Lohnschutz dreht die Stimmung. Hier verstrickt sich die Strategie in Widersprüche zwischen Einordnen in europäisches Recht und Abschottung gegen dieses Recht. Mal heisst es, das EU-Recht bilde den Rahmen für die Aufrechterhaltung und Weiterentwicklung eines wirksamen Lohnschutzes. Es biete grosse Interpretationsspielräume, die genutzt werden müssten (Seite 33). Wenige Seiten vorher (Seite 28) verbietet man sich hingegen das Einmischen von aussen. Die Schutzmassnahmen müssten in der Kompetenz des Gastlandes von entsendeten Arbeitnehmenden liegen, in der Zuständigkeit von dessen Innenpolitik, «im Sinne der Autonomie der einzelnen Staaten geregelt werden». Die Schweiz soll selber bestimmen können, was sie als EU-Recht konform ansieht. Auch auf Seite 10 geben die Skeptiker den Ton an, wo die mit der Revision der Richtlinie für entsendete Arbeitskräfte verbundenen Veränderungen nur selektiv beschrieben werden. Auf Seite 31 wird hingegen schon fast neidisch aufgezählt, welche sozialen Massnahmen die EU in jüngster Zeit beschlossen hat und die man sich noch so gerne für die Schweiz wünschte.

So gibt es Passagen für die Lohnschutz-Souveränisten und solche für jene, die den Lohnschutz im EU-Recht verankern und fortentwickeln wollen. Und es wird vorgetäuscht, als ob sich Unversöhnliches versöhnen liesse.

Wie ein EU-kompatibler Lohnschutz aussehen könnte

Dank den neuen Entwicklungen in der EU wäre es gar nicht schwierig, die Widersprüche aufzulösen. Was es dazu bräuchte, wären vier Punkte:

  • Erstens müsste anerkannt werden, dass mit der vor kurzem in Kraft gesetzten Entsenderichtlinie tatsächlich ein Paradigmenwechsel stattgefunden hat. Die Dienstleistungsfreiheit gilt nicht mehr absolut, sondern nur noch eingeschränkt. Das in der EU verankerte Ziel eines angemessenen sozialen Schutzes ist jetzt beim Lohnschutz zu beachten.
  • In diesem Sinne würde zweitens EU-Recht gemäss dem Prinzip «gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort» den Rahmen für einen wirksamen und weiter zu entwickelnden Lohnschutz bilden.
  • Drittens gälte es im Rahmen des EU-Rechts ergänzend in einem bilateralen Abkommen sensible Punkte zu klären, damit der Lohnschutz auf die besondere Situation der Schweiz mit den höchsten Löhnen im EU-Binnenmarkt Rücksicht nimmt. Dabei wären Kriterien zur Verhältnismässigkeit von Lohnschutzkontrollen festzulegen, die insbesondere auf die Lage in den Grenzregionen zugeschnitten wären.
  • Viertens soll parallel zu den Verhandlungen mit der EU innenpolitisch ausgehandelt werden, wie die europarechtlich gewährten nationalen Spielräume für die Fortentwicklung des Lohnschutzes genutzt werden sollen. Hier könnte die Übernahme der EU-Richtlinie für Mindestlöhne und die schrittweise Erhöhung der tarifvertraglichen Vereinbarungen ein zentrales Thema sein.

Zum EU-Binnenmarkt gehört nun einmal die „Dienstleistungsfreiheit“ neben dem freien Verkehr von Waren, Kapital und Personen zu den vier Grundfreiheiten. Das mag man gut oder nicht gut finden. Eine Partei, die einen möglichst grossen diskriminierungsfreien Zugang zum Binnenmarkt wünscht, kann aber das Prinzip eines freien Dienstleistungsverkehrs nicht völlig aushebeln. Und da die SP gemäss Strategie die bisher erreichte Teilnahme am EU-Binnenmarkt garantiert haben will und darüber hinaus weitere Marktzugangsabkommen wünscht, verträgt es sich erst recht nicht mit dem Anspruch auf nationale Autonomie und Interpretationen nach eigenem Gutdünken. Über Einschränkungen der Dienstleistungsfreiheit zugunsten eines wirksamen Lohnschutzes lohnt es sich aber zu verhandeln und zu feilschen.

  • Assoziierung statt Bilateralismus
    Um den bilateralen Weg zu stabilisieren, strebt die SP ein Assoziierungsabkommen an. Nicht mehr Rahmenabkommen oder Institutionelles Abkommen soll es heissen. Für die neue Wortwahl führt das SP-Strategiepapier mehrere inhaltliche Gründe an. Der neue Name würde aber vor allem mit einem jahrzehntelangen Missverständnis in der Europapolitik der Schweiz aufräumen. Die sogenannten bilateralen Abkommen waren von Beginn weg nicht wirklich bilateral. Die Schweiz erhielt in Bereichen wie Personenfreizügigkeit, Luft- und Landverkehr, Anerkennung technischer Produktionsstandards und Agrarhandel Zugang zum EU-Binnenmarkt und hatte als Konzession «fremdes Recht» zu übernehmen, wie es der frühere Staatssekretär Rossier einmal treffend und zugleich politisch-provokativ formuliert hatte. Der vor 30 Jahren eingeschlagene «bilaterale Weg» markierte in einigen zentralen Bereichen der Beziehungen zur EU die Abkehr vom Bilateralismus, der vor 50 Jahren mit dem Freihandelsabkommen seinen Anfang nahm.

Der vorliegende Artikel wurde am 02. September 2022 auf infosperber.ch publiziert.

Die Bedeutung des Ukrainekriegs für die Schweizer Neutralität (Viktor Parma)

Normalerweise halten selbst langjährige Journalisten keine Festreden. Umso mehr danke ich der Gemeinde Münsingen für die Einladung, an ihrer Bundesfeier die Festrede zu halten. Meistens werden dafür Gewählte ausersehen oder anders um die Gemeinde verdiente Bürgerinnen und Bürger. Jedenfalls keine Neo-Münsinger, die in grauer Vorzeit im Siedlungsbrei irgendwelcher Zürcher Aussenquartiere geboren und aufgewachsen sind.

Im Ernst, wir haben ganz allgemein aufgehört, in normalen Zeiten zu leben. Sehr ungewollt. Hier auf diesem Platz im alten Dorfkern, auf dem Schlossgutplatz, veranstaltet die Reformierte Kirchgemeinde Münsingen seit einiger Zeit jeden Samstag ein – ich zitiere – „Friedensgebet aus aktuellem Anlass“. Und es wissen alle sofort, was gemeint ist.
In normalen Zeiten gehört zu jedem 1.-August-Fest viel Unbeschwertheit. Seit Beginn des russischen Angriffskriegs sind manche von uns nicht mehr so unbeschwert. Feiern aber dürfen wir den symbolischen Geburtstag unseres Landes immer. Sogar in einem solchen Jahr. In einem solchen Jahr sogar erst recht. Mit Blick auf die aktuelle Situation ist die Bundesfeier der richtige Anlass, sich auf bestimmte Fundamente des Landes zu besinnen.

Eigentlich nicht allein des Krieges wegen. Wir leben ganz generell in zunehmend gefahrvollen Zeiten. Die Krisen häufen sich seit Jahren, Stichworte Klima, Pandemie. Der Krieg belastet uns allerdings zusätzlich und nochmals anders. Schon ist unsere Energiesicherheit dahin. Was für die Klima-Wende wiederum Probleme schafft. So verstärken sich die Krisen auch noch gegenseitig. Grenzüberschreitend. Soviel zur Herausforderung, vor der wir stehen.

Was ist eine Krise? Streng genommen, laut Wörterbüchern, eine Entscheidungssituation, der Wende- oder Höhepunkt einer gefährlichen Entwicklung.

Eine einfachere Definition von Krise geht zurück auf einen italienischen Denker des 20. Jahrhunderts, Antonio Gramsci. In einer Krise, sagte er, ist das Alte nicht mehr da, aber das Neue hat noch nicht angefangen. Mit andern Worten: Eine Krise ist eine prekäre Zwischenzeit.

Mir scheint nun, die Schweiz ist Spezialistin für solch prekäre Zeiten. Das war sie von Geburt. Das ist ihre Staatsidee. Oder genauer: der praktische Kern ihrer Staatsidee. Egal, ob wir dabei an die Gründung des modernen Bundesstaats im 19. Jahrhundert denken. Oder sogar an die legendären Anfänge der alten Eidgenossenschaft im Mittelalter.

Der von Anfang August 1291 datierte Bundesbrief, nach traditioneller Lesart die Gründungsurkunde der Eidgenossenschaft, verweist schon einleitend auf die Arglist der Zeit. Man sprach vordem auch von Interregnum, Zwischenherrschaft. Das Alte, die als rechtmässig anerkannte Herrschaft, war nicht mehr da, und die Zeit wurde arglistig – nach heutigem Sprachgebrauch krisenhaft. In einer solch prekären Situation entschlossen sich die Waldstätte zu ihrem Start-up, einem smarten Landfriedensbund mit grossem Potential – immer nach heutigem Sprachgebrauch.

Genauso entstand auch die moderne Schweiz. Ihr gelang inmitten des krisengeschüttelten 19. Jahrhunderts, im Revolutionsjahr 1848, als einzigem Land Europas die Gründung einer bis heute stabil gebliebenen Republik. Aussenpolitisch war der junge Bundesstaat sofort hochaktiv. Er setzte zwar die Neutralität fort, die die Grossmächte der alten Eidgenossenschaft am Wiener Kongress 1815 zuerkannt hatten. Die Väter der Bundesverfassung von 1848 verzichteten aber bewusst darauf, die Neutralität unter den Zwecken des Bundes anzuführen, weil man nie wissen könne, ob die Neutralität einmal im Interesse der Unabhängigkeit aufgegeben werden müsse.

Die erste Weltkrise, die den neuen Bundesstaat und seine Neutralität auf die Probe stellte, war der Krimkrieg von 1853 bis 1856. Russland kämpfte gegen seinen schwächeren Nachbarn am Schwarzen Meer, die Türkei. Die Westmächte Frankreich und England eilten der Türkei zur Hilfe und erklärten Russland den Krieg. Der Krimkrieg war der erste Krieg zwischen den Grossmächten, in dem die moderne Technik – zielgenaue Gewehre, elektrische Kommunikation – eine wesentliche Rolle spielte und den Stellungskrieg brachte. Er war eine Vorform des Ersten Weltkriegs.

Der Krimkrieg schockierte und elektrisierte die Weltöffentlichkeit. Viele Schweizerinnen und Schweizer ergriffen leidenschaftlich Partei für die Westmächte. Die Neue Zürcher Zeitung publizierte flammende Leitartikel: „Die ganze europäische Gesellschaft fühlt es, dass hier ein Krieg für und gegen die höchsten Güter der Civilisation geführt wird, ein Krieg gegen die Ursache aller Kriege, vielleicht der letzte Krieg. Es herrscht die Feierlichkeit eines Gottes- und Weltgerichts. (…) Die Siegessalven von London und Paris werden in den hintersten Schluchten von Glarus und Neuenburg wie auf den ersten Märkten der Welt einen freudigen Widerhall finden.“ Später schlug die NZZ sogar die Entsendung von 12 000 bis 16 000 Schweizer Soldaten zur militärischen Unterstützung der Westmächte vor.

So weit freilich gingen ansonsten Schweizer Presse und Bevölkerung bei aller Sympathie für den Westen auch wieder nicht. Die offizielle Schweiz blieb neutral, beteiligte sich also militärisch nicht selber am Konflikt. Der Bundesrat befürchtete Weiterungen des Krimkriegs bis nach Mittel- und Westeuropa. Auch über unvermutete Richtungsänderungen von Staaten unseres eigenen Umfelds. Deshalb erklärte er 1854 in grosser Sorge um die Schweiz, selbst die „feierlichsten Verträge“ über die Neutralität änderten nichts daran, dass „nur zu oft die Gewalt und nicht das Recht massgebend“ sei.

Diskret liess der Bundesrat zu, dass die auf der Krim kriegführenden Mächte in der Schweiz Söldner anwarben – die britische Schweizerlegion 3300 Mann, die französische Fremdenlegion 700 Mann. Ein Versuch von russischer Seite, in der Schweiz ebenfalls zu werben, schlug fehl. Bloss gelangten dann selbst auf englischer und französischer Seite die Schweizer Söldner nicht mehr auf den Kriegsschauplatz. Ehe es soweit war, wurde der Frieden geschlossen.

Der Krimkrieg war allen Staaten Europas, auch der Schweiz, eine Lehre. Er zeigte erstmals in der Moderne, dass ein begrenzter Krieg zwischen Grossmächten führbar war. Das änderte den Charakter der internationalen Diplomatie. Zuvor hatte sie sich um Friedenswahrung bemüht. Nach dem Krimkrieg diente sie neuer Kriegsvorbereitung.

Die Schweiz musste lernen, sich daraus herauszuhalten. Ohne deshalb unfähig zu werden, mit dem Ausland zusammenzuwirken. Sie verbot die ihr unwürdigen Solddienste. Sie führte, spät genug, ein modernes Bundesheer ein, das mit den kriegstechnischen Entwicklungen des Auslandes Schritt hielt.

Und sie begann, ihren aussen- und sicherheitspolitischen Manövrierraum immer besser auszunützen. An Druckversuchen des Auslands fehlte es nicht. Unentwegt manövrierend, wich sie ihnen aus, widerstand ihnen oder gab ihnen nach, je nach Konflikt. Ihre Neutralität passte sie situativ ihrer Realpolitik an. Mal war sie flexibler neutral, mal strenger. Und so hat sie auch alle Weltkrisen und Weltkriege intakt überstanden, anders als alle andern Länder des Kontinents. Dies bis an die Schwelle des Atomzeitalters. Seitdem profitiert sie von ihrer geostrategischen Lage, ihrem europäischen Umfeld mit seinem amerikanischen Schutzschirm.

Am 24. Februar sind wir in einem anderen Europa aufgewacht: Eine Grossmacht ist zu Angriffskrieg und Einsatz atomarer Waffen bereit. Sie will die europäische Friedensordnung radikal ändern, die in der Charta von Paris 1990 von allen Staaten der damaligen KSZE einschliesslich Sowjetunion und Schweiz unterschrieben worden ist. Das ändert alles, auch für unser Land.

Plötzlich sind die klaren Worte des Bundesrates von 1854 über die Verwundbarkeit des Neutralen trotz feierlichsten Verträgen für uns heute von bestürzender Aktualität. Wie damals sind Weiterungen des Kriegs bis nach Mittel- und Westeuropa möglich. Etwa über unvermutete Richtungsänderungen von Staaten unseres eigenen Umfelds. Man weiss wirklich nie.

Nicht von ungefähr hat sich unsere Bundespolitik mit Hochdruck daran gemacht, die Neutralität wieder einmal situativ anzupassen. Dies nachdem sich der Bundesrat den EU-Sanktionen gegen Russland angeschlossen hat. Noch wird die breite Grundsatzdiskussion erst vorbereitet. Es gibt für die Zukunft der Neutralität mehrere Optionen. Entscheiden werden Bundesrat und Parlament, am Ende Volk und Stände. Doch wird über die Medien alles schon zum Entweder-Oder zugespitzt: Mehr kooperative oder wieder integrale Neutralität? Konkreter: Soll die Schweiz mit der Nato enger als bisher zusammenarbeiten oder am liebsten gar nicht mehr?

Die Verengung der Diskussion auf diese beiden Optionen halte ich für reichlich verfrüht. Zumal beide, scheint mir, auf einer Annahme beruhen, die seit 24. Februar überholt ist. Der Annahme, die Schweiz könne von effektiver Achtung des Völkerrechts, wie des Neutralitätsrechts, ausgehen. Wir haben es jetzt in Europa mit einer Atommacht zu tun, die sich um Rechte von Drittstaaten, vorab solcher ohne garantierten Schutzschirm, nicht mehr schert.

Nein, mit andern Neutralen ist die Schweiz nicht gut vergleichbar. Auch nicht mit Finnland oder Schweden, die nach dem 24. Februar nicht lange gefackelt haben. Beide entschlossen sich unverzüglich zu Nato-Beitritt und Verzicht auf die Neutralität. Sie benötigen den garantierten Schutzschirm besonders dringend.

Noch ist die Schweiz weniger exponiert. Sie ist in einer weniger gefährlichen geostrategischen Lage als die nordischen Neutralen. Sie hat mehr Bedenkzeit. Hoffentlich nutzt sie sie auch richtig. Prüft also Optionen, die das seit 24. Februar bestehende Problem adressieren. Mit Vorteil solche, die den Manövrierraum der Schweiz im Notfall nicht verkleinern, sondern vergrössern. Konkret etwa die Option, auf die Dauerhaftigkeit der Neutralität zu verzichten. Fachleute nennen sie Ad-hoc-Neutralität. Mit ihr wäre die Schweiz grundsätzlich neutral, könnte aber je nach Konflikt auch darauf verzichten, falls sie das für ihre Sicherheit als nötig erachtet.

Dann hätte sie den Manövrierraum, den sie gerade in Zeiten wie den unsrigen benötigt. Einer neuen Zeit gehäufter Krisen, Kriege, modernisierter Barbarei. Siegleicht langsam jener, die mit dem Krimkrieg begann und in zwei Weltkriegen gipfelte.

Die These, die ich am Anfang meiner Rede aufgestellt habe, war: In arglistigsten Zeiten bewährt sich die Überlebens- und Problemlösungskompetenz der Schweiz am besten. Jetzt sahen wir: Wichtig dafür ist der Manövrierraum, jene Handlungsfreiheit, von der die Schweiz auch Gebrauch machen kann und will. Die schönste Frucht all dessen in der Moderne aber war und ist, neben der Unversehrtheit des eigenen Landes, das Rote Kreuz.

Der Genfer Bürger Henry Dunant hatte die Grauen modernisierter Kriegsbarbarei in den 1850er Jahren durch Zufall auf Reisen mit eigenen Augen gesehen, nicht auf der Krim, dafür in Norditalien. Seitdem wusste er, was er zu tun hatte. Und die Schweiz verhalf seinem grossen Gedanken auf diplomatischem Parkett in Genf zum Durchbruch. Bis auf den heutigen Tag beweist das Rote Kreuz weltweit exemplarische Handlungsfähigkeit in prekärsten Situationen.

Unsere Demokratie ist ein Staatswesen, das sich an übermächtigen Aufgaben erst ganz entfaltet. Manchmal ist sie merkwürdig. Sie ist einer der am solidesten gebauten Staaten der Welt. Sie traut sich aber oft selber nichts zu. Die Schweiz ist unzerstörbar, ausser sie zerstört sich selbst. Durch Verzagtheit.

Feiern wir unseren 1. August also vor allem: unverzagt – und mit viel Zuversicht.

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Beim originalen Beitrag handelt es sich um die vom Autor gehaltene Festrede an der Bundesfeier in Münsingen 2022.

Russland schwer getroffen (Daniel Woker)

Die westlichen Sanktionen gegen Russland waren und bleiben politisch unumgänglich, wirtschaftlich sind sie ein Erfolg. Die russische Wirtschaft wird in der Aussen- und der Binnenwirtschaft von den Sanktionen in zunehmendem Masse schwer getroffen. Der Rubel wird zur internationalen Schundwährung.

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Taiwan – die Ukraine Asiens (Daniel Woker)

Nimmt sich der chinesische Autokrat Xi Jinping ein Beispiel am russischen Autokraten Putin oder deuten der Verlauf und die weltwirtschaftlichen Konsequenzen des Ukrainekrieges auf das Gegenteil hin? Die geographischen und auch politischen Verhältnisse am östlichen Ende der gigantischen Landmasse von Eurasien sind anders. Wenn es der kampferprobten Armee der nuklearen Grossmacht Russland nicht gelingt, einen vergleichsweisekleineren Nachbarn zu Lande schnell und relativ schmerzlos zu besetzen, wie soll das der zwar riesigen, aber ohne Kriegserfahrung gebliebenen Armee der Volksrepublik übers Wasser nach Taiwan gelingen?

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La Libertà: „L’adhésion à petits pas réfléchis“ (Gilbert Casasus)

Lorsque dans l’ambiance calfeutrée de l’Université de Fribourg, Marie Moulin soutenait fin 2019 son master, elle ne pouvait guère s’imaginer que son travail allait susciter tant d’intérêt en 2022. Consacré à la Conféderation européenne que François Mitterand proposa lors de son allocution du 31 décembre 1989, son mémoire avait quelque chose de prémonitoire.

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Euractiv: „Germany and five other EU countries commit to solidarity as blackouts loom“

Germany, Austria, Czechia, Hungary, Poland, and Slovakia have signed a memorandum of understanding (MoU) on risk preparedness and solidarity in the electricity sector as the danger of blackouts becomes more realistic in light of the dwindling energy supplies coming from Russia.

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Le Temps: „France: la dissolution est inévitable“ (Gilbert Casasus)

Toute réaction à chaud est malvenue. Pas celle-ci. Les faits sont têtus, les chiffres aussi. Une majorité politique n’existe qu’après l’obtention de 50% des voix plus une, qu’après celle de 50% des sièges plus un. Emmanuel Macron a largement été réélu le 24 avril dernier. Il a largement été mis en minorité le 19 juin 2022. En d’autres termes, il est en mesure de présider son pays, mais pas de le gouverner.

Jacques Chirac croyait avoir fait le nécessaire en l’an 2000. Pourtant son référendum sur le quinquennat n’a pas évité le séisme du scrutin de la présidentielle du 21 avril 2002, lorsque Jean-Marie Le Pen arriva au second tour de la présidentielle. Pendant deux décennies, la République française a vécu dans une illusion politique à laquelle tous ses partis s’étaient habitués. Elle baignait nolens volens dans le paradoxe d’un système semi-présidentiel qui vient de dévoiler une nouvelle fois ses propres faiblesses. Sous-estimant une crise constitutionnelle larvée, la France s’est contentée d’un statu quo institutionnel qui, peu ou prou, était condamné à plus ou moins brève échéance. En toute bonne foi, les élections législatives ne devaient être que pure formalité pour le président élu ou réélu. Cela a fonctionné, mais cela ne fonctionne plus. Président le mieux réélu depuis Jacques Chirac, Emmanuel Macron vient d’en faire l’amère expérience.

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AvenirSuisse „Erosionsmonitor #3: Report zum Stand des bilateralen Verhältnisses Schweiz-EU – Schwerpunkt Nordwestschweiz“

Mit dem Erosionsmonitor beurteilt Avenir Suisse die Entwicklung der bilateralen Beziehungen Schweiz-EU nach dem Abbruch der Verhandlungen über das institutionelle Rahmenabkommen und definiert Eckpunkte für eine zukünftige Europapolitik.

Seit der letzten Ausgabe des Erosionsmonitors sind für Schweizer Unternehmen die Hürden der Teilnahme am EU-Binnenmarkt weiter gestiegen. Zu erwähnen sind insbesondere die Verschlechterungen für Hersteller von Diagnostika aufgrund der fehlenden Aktualisierung des Abkommens über die technischen Handelshemmnisse. Von der Erosion überdurchschnittlich stark betroffen sind die Nordwestschweizer Kantone: Ihre Forschungsinstitutionen spüren stark die negativen Auswirkungen infolge des Ausschlusses aus dem Forschungsprogramm Horizon Europe, während lokale Unternehmen nicht nur mit den neuen Hürden im Diagnostik-, sondern seit längerem auch im Medizintechnik-Bereich zu kämpfen haben. Hinzu kommen die zu erwartenden regulatorischen Änderungen, die sich bei den Maschinen- und Baumaterialien abzeichnen. Die föderalistische Mitwirkung der Kantone in der Aussenwirtschaftspolitik ist generell zu stärken. Teil dieses Avenir Suisse-Erosionsmonitorings ist ein externes Rechtsgutachten, von Prof. Dr. Urs Saxer und Dr. Daniela Kühne. Vorgeschlagen wird eine Anpassung der Gesetzgebung, um die föderalistische Mitwirkung der Kantone in der Aussenwirtschafts- und Europapolitik zu verbessern.

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Euractiv: „EU still split over China’s ‘threat or challenge’“

While Americans and Europeans are still split on whether to treat China as a security ‘threat’ or ‘challenge’, the gap is closing as allies try to agree on NATO’s new long-term strategic document, set for the first time to mention Beijing.

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